„Für seine Zeit ein Frauenrechtler“
Friederike Kuster von der Bergischen Uni hat sich mit Engels’ Sicht die Geschlechter befasst.
Der Internationale Frauentag, der am 8. März begangen wird, war besonders für die Sozialistinnen ein wichtiger Demonstrations- und Kampftag. Ein Klassiker der sozialistischen Theorie zum Verhältnis der Geschlechter ist die Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ von Friedrich Engels. Mit ihr hat sich Friederike Kuster, Professorin für Philosophie, beschäftigt.
Und dabei festgestellt, dass Friedrich Engels zwar eine revolutionäre Sicht auf die Geschlechterverhältnisse hatte, aber auch in Geschlechter-Stereotypen der bürgerlichen Gesellschaft gefangen war. Engels schrieb die 270 Seiten starke Schrift in wenigen Wochen zwischen März und Mai 1884. So schnell war er auch deshalb, weil er Exzerpte von Karl Marx aus Schriften des Ethnologen Lewis Henry Morgan benutzte.
Die Entstehung des Patriarchats durch Privateigentum
Er übernahm dessen Theorie, dass es einst matriarchalische Gesellschaften gab, in denen Männer und Frauen mit wechselnden Partnern frei zusammen lebten. Und dass sich das änderte, als durch wachsende Produktivität das Privateigentum entstand, Männer ihren Besitz weiter vererben wollten und Wert auf gesicherte Abstammung legten. So sei die patriarchale Gesellschaft entstanden.
Friederike Kuster hält nicht viel von dieser Theorie über frühe Gesellschaften, die eine Projektion aus dem 19. Jahrhundert und heute überholt sei: „Da wird eine Geschichte erzählt.“ Wichtig sei aber gewesen, dass damit gesellschaftliche Institutionen wie Familie, Eigentum und Staat als historisch gewachsen dargestellt wurden. „Damit konnten sie überwunden werden.“
Engels habe auch die Geschlechter-Verhältnisse seiner Zeit sehr klar analysiert, nämlich dass Ehefrauen komplett rechtlos waren. „Er spricht von ,Prostitution der Frauen’“, sagt sie. Diese hätten nur die Wahl, sich öffentlich in „Stückarbeit“ zu verkaufen oder in der Ehe als Ganzes. Frauen hätten – ähnlich wie Proletarier – nur die Möglichkeit, ihre Haut zu Markte zu tragen. „Das ist schon starker Tobak“, sagt Friederike Kuster.
In Engels’ Vorstellung vom Fortgang der Geschichte wird die bürgerliche Ehe überwunden, Männer und Frauen finden sich ohne ökonomische Zwänge zusammen, die „Ware Liebe“ wird zur „wahren Liebe“. Interessant findet die Forscherin, dass Engels für die gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen genau den Weg sah, der bis heute begangen wird: indem sie wie die Männer in den Bereich der Produktion integriert werden. Dafür würden sich die Privathaushalte auflösen, die Familienpflichten in „öffentliche Industrie“ verwandelt.
Auch das geschehe heute, „aber nach kapitalistischen Standards“, sagt Kuster. Das hätte sich Engels sicher so nicht vorgestellt. Heute werde Sorge- und Pflegearbeit wie Ware gehandelt. Das Problem sei, dass solche Arbeit nicht viel Mehrwert produziere und nicht weiter rationalisiert werden könne: „Sie ist personalintensiv und wertschöpfungsschwach.“
Zudem werde diese Arbeit weiterhin überwiegend von Frauen erledigt. „Das ist die alte Rollenzuschreibung“, stellt Friederike Kuster fest. Sie glaubt, dass auch Engels nicht die Vorstellung hatte, dass diese Arbeit unter den Geschlechtern aufgeteilt wird – insofern sei er in den Rollenvorstellungen seiner Zeit verhaftet geblieben.
Frauen würden heute diese Arbeit an andere Frauen delegieren, so ergäben sich „Fürsorgeketten“, wenn etwa die Pflege von Familienangehörigen von Pflegekräften aus Osteuropa übernommen werde. Sie hält es für wichtig, den Wert der Pflege- und Sorgearbeit anzuerkennen. Das hätten auch Marx und Engels nicht getan. In ihrer Theorie sei diese einfach verschwunden. Das sei ein gutes Beispiel dafür, dass es auch vom Autor abhängt, was für eine Theorie er entwickelt.
Ihr Fazit zu Engels in Frauenfragen: „Für seine Zeit war er ein Frauenrechtler – mit historisch-materialistischem Ansatz: Er blickt auf die Themen Arbeit und Eigentumsverhältnisse.“