Loveparade: Staatsanwaltschaft klagt zehn Personen an

Duisburg (dpa) - Für den Tod von 21 Menschen bei der Loveparade 2010 macht die Staatsanwaltschaft zehn Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Veranstalters verantwortlich.

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Sie habe gegen sechs Bedienstete der Stadt und vier Angestellte der Firma Lopavent Anklage wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung erhoben, teilte Behördenchef Horst Bien am Mittwoch mit. Alle Beschuldigten hätten die Vorwürfe zurückgewiesen.

Die Anklagebehörde wirft Organisatoren und Genehmigungsbehörden schwere Fehler bei Planung, Genehmigung und Überwachung von Sicherheitsauflagen des Techno-Festivals vom 24. Juli 2010 vor. Die Veranstaltung mit fast einer halben Million erwarteter Besucher hätte so niemals genehmigt werden dürfen, erklärte die Staatsanwaltschaft.

Vor dreieinhalb Jahren kamen auf dem Loveparade-Gelände während einer Massenpanik 21 junge Menschen ums Leben. 652 wurden verletzt.

Die Staatsanwaltschaft kommt zu dem Ergebnis, dass das Gelände am Hauptbahnhof ungeeignet gewesen sei. Eine einzige auf das Gelände führende Rampe als gemeinsamer Zu- und Ausgang sei zu klein für die erwartete Besucherzahl gewesen, sagte Bien. „Diese Gefahr hätte erkannt werden müssen.“ Zudem hätten Zäune den Platz zusätzlich eingeengt. Dafür trügen alle zehn Angeklagten Verantwortung.

Am Schnittpunkt zweier Tunnel und der Rampe brach am Nachmittag des Festivaltages eine Panik aus, als das Gedränge im Zugangsbereich immer größer wurde. „Die Rampe war zu klein, um im Verlauf 450 000 Besucher aufzunehmen“, sagte Bien. Die Folge war: Besucher erstickten, wurden erdrückt oder zu Tode getrampelt.

Der britische Massendynamik-Experte Keith Still, der als Gutachter für die Staatsanwaltschaft arbeitete, stellte den Beteiligten ein vernichtendes Zeugnis aus. Mit dem Konzept sei es nicht einmal theoretisch möglich gewesen, die Loveparade gefahrlos durchzuführen.

Die Staatsanwaltschaft stellte einige Ermittlungen ein, so gegen den Einsatzleiter der Polizei und den sogenannten Crowd-Manager von Lopavent. „Ihre Mitwirkung war für den Ausgang des Geschehens nicht ursächlich“, sagte Bien. Ihnen habe der umfassende Einblick in die Planungsunterlagen gefehlt und so hätten sie die schwerwiegenden Fehler darin nicht erkennen können. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft durften sie darauf vertrauen, dass die zuständigen Genehmigungsbehörden sorgfältig geplant hätten.

Duisburgs viel kritisierter damaliger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) und der Geschäftsführer des Veranstalters, Rainer Schaller, stünden nicht unter Verdacht. „Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung genommen haben“, sagte Bien. Schaller habe auf ein Organisationsteam gesetzt, das schon andere Loveparades organisiert habe.

Sauerland und Schaller sollen aber im Prozess als Zeugen aussagen. Sauerland, dem politisches und moralisches Versagen nach der Katastrophe vorgehalten wurde, wurde nach einem Bürgerbegehren abgewählt. Gegen den Vorwurf, die „Großen“ lasse man laufen, betonte der Staatsanwalt, in diesem Verfahren gehe es ausschließlich um strafrechtliche Schuld. Schmerz und Trauer würden dadurch nicht gelindert.

Bei den Beschuldigten handelt es sich aufseiten von Lopavent um den Gesamtleiter, den Produktionsleiter, den Verantwortlichen für die Sicherheit sowie den technischen Leiter des Projekts. Bei der Stadt wird zum einen ein Dreier-Team des Bauamtes verantwortlich gemacht, das für die Prüfung der Anträge zuständig war. Die anderen drei sind der für das Prüfungsteam zuständige Abteilungsleiter, die Amtsleiterin sowie der damalige für Stadtentwicklung zuständige Beigeordnete.

Duisburgs amtierender Oberbürgermeister Sören Link (SPD) kündigte an, die Stadt werde jetzt ein Disziplinarverfahren gegen die sechs Beschuldigten der Stadt einleiten.

Das Duisburger Landgericht muss jetzt über die Eröffnung des Prozesses entscheiden. „Diese Prüfung wird angesichts des Umfangs der Akten vermutlich nicht in wenigen Monaten abzuschließen sein“, sagte ein Gerichtssprecher voraus. Allein die Anklageschrift umfasst 556 Seiten.

Der nordrhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty wies am Mittwoch im Rechtsausschuss des Landtags ebenfalls darauf hin, dass das Landgericht „einen längeren Zeitraum“ brauchen werde, um über die Eröffnung eines Hauptverfahrens zu entscheiden. Gleichzeitig warnte der SPD-Politiker vor falschen Erwartungen an einen Prozess. Er verstehe Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Wut. Ein Strafverfahren könne aber „der emotionalen Seite von menschlichen Dramen nur bedingt Rechnung tragen“.