Lüttich: Amoklauf aus Angst vor dem Knast?

Der vorbestrafte Lütticher Attentäter Nordine A. (33) hatte einen Polizeitermin wegen eines Sittlichkeitsdelikts.

Brüssel. In jüngster Zeit schien der mehrfach vorbestrafte Attentäter von Lüttich wieder auf den rechten Weg zurückgefunden zu haben. Diesen Eindruck hatte zumindest ein Nachbar des gebürtigen Brüsselers Nordine A.. Doch am Dienstag richtete der 33-Jährige in der ostbelgischen Stadt ein Blutbad an und tötete sich selbst.

„Er hatte eine feste Freundin, eine Krankenschwester“, sagte Cakti E. der belgischen Zeitung „De Morgen“ über den Attentäter aus seiner Nachbarschaft. „Er schien wieder eine Zukunft zu haben. Er war ein freundlicher Mensch.“

Wie fast jeden Tag unterhielt sich Cakti E. auch am Dienstag mit dem Mann, der dann mittags auf dem Platz Saint-Lambert in Lüttich wild in die Menge schoss, Granaten warf, mindestens vier Menschen tötete und 125 weitere teils schwer verletzte. Eigentlich hatte Nordine A. einen Termin bei der Polizei. Es ging um ein Sittlichkeitsdelikt. Sein Anwalt sagte der Zeitung „La Libre Belgique“: „Er fürchtete, wieder ins Gefängnis zu müssen.“ Laut Staatsanwaltschaft hinterließ er keinen Abschiedsbrief.

Seinem Nachbarn verschwieg Nordine A. dies. Cakti E. wusste auch nicht, dass sein Nachbar vor dem Amoklauf im Zentrum Lüttichs eine Putzfrau erschossen hatte. Polizisten entdeckten erst später ihre Leiche in einem Lagerraum, den der gelernte Schweißer angemietet hatte.

Dass der 2008 wegen Waffen- und Drogen-Besitzes verurteilte Nordine A. einen Hang zu Waffen hatte, war der Polizei bekannt. Schon als Teenager soll er von ihnen fasziniert gewesen sein. Das fanden Reporter von „De Morgen“ heraus, die sich in Grimbergen umhörten. Ein Mann, bei dem Nordine A. einst Rasen mähte, beschreibt ihn als einen „Jungen mit wenig Chancen“. Er soll schon früh Waffenbörsen abgeklappert und an Waffen herumgeschraubt haben.

Der Waffennarr, der zuletzt in Lüttich wohnte, blieb nicht unbemerkt. Im Oktober 2007 schlug die Polizei nach einem anonymen Hinweis zu. Die Beamten fanden bei dem jungen Mann etwa 2800 Cannabis-Pflanzen, verkaufsfertige Päckchen mit dem Rauschgift und ein Waffenlager: Gewehre, Pistolen, Munition und 9500 Waffenteile.

Im September 2008 wurde Nordine A. zu 58 Monaten Gefängnis verurteilt — 42 Monate wegen der Drogen, 16 Monate wegen der Waffen. Er erhielt eine relativ hohe Strafe, da er schon einmal verurteilt worden war — vor etwa zehn Jahren wegen Nötigung und Vergewaltigung. Das Urteil wegen Waffenbesitzes wurde aber bei einem Revisionsverfahren aufgehoben.

Nordine A. musste nicht seine volle Strafe hinter Gittern absitzen. Vor ungefähr einem Jahr kam er auf Bewährung frei — unter der Bedingung, dass er sich von Waffen fernhält. Darum, das zeigte sich am Dienstag in Lüttich, scherte sich Nordine A. nicht.