Macht, Kunst und Schätze: Karl der Große in Aachen

Aachen (dpa) - Die Ansage aus London war klar: Seinen Elfenbeindeckel des Lorscher Evangeliars werde das Londoner Victoria und Albert Museum nur dann nach Aachen geben, wenn der dazugehörige Deckel aus dem Vatikan kommt.

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Peter van den Brink hat sein großes diplomatisches Besteck ausgepackt. Zum ersten Mal nach 1999 sind die Tafeln wieder zusammen zu sehen, im neuen Stadtmuseum „Centre Charlemagne“. In Aachen, wo sie vor gut 1200 Jahren an der Hofschule Karls des Großen hergestellt wurden.

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Karl der Große (787/748-814) - prägend in der breiten Öffentlichkeit ist sein Image als mächtiger Herrscher, als Kriegsherr, mit seinem barbarisch anmutenden Vorgehen gegen die heidnischen Sachsen. Kunst-Experten wie van den Brink sehen in ihm den „hoch anspruchsvollen Impulsgeber für Kunst und Kultur“ - in einer Zeit, in der nur wenige lesen und noch weniger Menschen schreiben konnten.

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Die dreiteilige Ausstellung „Karl der Große. Macht Kunst Schätze“ (20.06.-21.09.) zeigt im kunsthistorischen Teil neben Silber- und Goldschmiedearbeiten, geschnitzte Elfenbeinarbeiten auch bedeutende Handschriften aus der Hofschule Karls des Großen, darunter auch das Godescalc Evangelistar mit 250 Evangelien-Lesungen, am Ende in der neu entwickelten Leseschrift Karolingische Minuskel. Eine Auftragsarbeit von Karl und seiner Frau Hildegard, wahrscheinlich zur Taufe ihres kleinen Pippin.

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Buchmalerei-Expertin Florentine Mütherich geht davon aus, dass Karl die Bücher als Instrument für seine Reformpolitik genutzt hat. Nach den Eroberungen begann der Frankenherrscher mit der großen Neugestaltung der gesellschaftlichen und kirchlichen Ordnung.

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Die Menschen sollten wissen, wann Weihnachten und Ostern war, welche Heiligen verehrt werden, Gottesdienste sollten würdig gefeiert werden. Karl habe an seinem Hof Wissenschaftler, Gelehrte und Künstler aus ganz Mitteleuropa versammelt, sagt der wissenschaftliche Beirat Olaf Müller: „Geeint in der Vielfalt“ - wie der europäische Anspruch heute.

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„Wissen ist Macht. Karl hat seine Macht in der Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Architektur verortet“, sagt Müller. Die kulturhistorische Ausstellung im Krönungssaal des Aachener Rathauses - die auf den Grundmauern von Karls Königshalle steht - zeigt diese Machtstrukturen in einem medialen Spannungsfeld: 320 kulturhistorische Exponate - wie die Nachbildung eines frühmittelalterlichen Klapp-Reisethrons für einen Reisekönig - und modernen Medien wie Video-Panorama und 3D-Darstellung erhellen die dunkle Zeit des Mittelalters, auch mit Blick auf die Zielgruppe Kinder.

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Karl der Große hatte Macht - nicht erst als Papst Leo III. ihn zum Kaiser krönte. „Das mag für ihn ein Sahnehäubchen gewesen sein, aber vom persönlichen Anspruch war er längst angekommen“, sagt der Kurator des Ausstellungsteil „Orte der Macht“, Professor Frank Pohle.

Ausdruck dafür sei seine mächtige Palastanlage, das größte Bauwerk nördlich der Alpen seiner Zeit. Mit Baubeginn seiner Pfalzkapelle (frühestens 795), stieg Karl langsam aus den Sattel. 50 000 Sattel-Kilometer steckten ihm da nach Experten-Schätzungen in den Knochen. Für seine Pfalzkapelle - den ältesten Teil des Aachener Doms - hatte er viele Anregungen mitgebracht, auch aus dem italienischen Ravenna. Die Ausstellung zeigt beispielhaft ein Mosaik aus Ravenna aus dem 6. Jahrhundert.

Der Name Karl wirkte über den Tod hinaus, etwa auf das sogenannte Schachspiel Karls des Großen aus der Osnabrücker Domschatzkammer. Tatsächlich seien die Figuren aus Bergkristall 150 Jahre nach Karls Tod entstanden und sollten durch die Legende einfach ein bisschen kostbarer werden, meint Kurator Pohle.

Auch die verarmte Marienkirche Karls des Großen - der Dom mit Pfalzkapelle - sollte in Versuchung geraten. 1850 sei Karls kostbares Leichentuch aus byzantinischer Seide geteilt und verkauft worden. „Man wusste, dass das kein Ruhmesblatt ist. Die haben das so diskret gemacht, dass wir das erst vor 15 Jahren festgestellt haben“, sagt der Leiter der Aachener Domschatzkammer Georg Minkenberg. Für den Ausstellungsteil „Verlorene Schätze“ sei das Tuch aus dem Louvre in Paris nach Aachen zurückgekehrt. Wie 60 andere Stücke aus dem Aachener Domschatz.