Marzipankunst nach altem Rezept

Alexandra Toropowa (20) stellt in ihrer Küche im heutigen Kaliningrad die berühmte Königsberger Süßigkeit her.

Kaliningrad. In der Küche von Alexandra Toropowa wimmelt es von kleinen Nixen, Fischchen und Drachen. Zucker und Mandeln verströmen den verführerischen Duft von Marzipan. Dreieckige Brötchen und handtellergroße Medaillons, gelbbraun geflämmt, liegen bereit. Die 20-jährige Bäckerin sorgt für eine süße Wiedergeburt in ihrer russischen Heimatstadt Kaliningrad. Sie stellt das berühmte Königsberger Marzipan her. Jedes Stück ist ein handgefertigtes Unikat.

Obwohl der alte Haushaltsherd pro Woche nur ein paar Kilo Marzipan schafft, nimmt Alexandras Geschäft Fahrt auf. Gerade erst habe sie eine Hochzeit beliefert, erzählt sie. Dabei funkeln ihre braunen Augen unter der dichten Lockenmähne hervor. Eine liegende Acht habe sie gestaltet, zweieinhalb Meter lang. „Das Symbol für die Unendlichkeit mag ich am liebsten“, erzählt Alexandra.

Königsberger Marzipan — das war vor dem Zweiten Weltkrieg etwas ganz Edles, weit über Ostpreußen hinaus begehrt und bekannt wie sonst nur die berühmten Klopse. Noch heute schwärmen gebürtige Königsberger von der vornehmen Leckerei, die nicht ganz so süß ist wie das bekannte Produkt der Lübecker Konkurrenz.

Berühmte Konditoreien wie das Café Schwermer am Schlossteich lagen nach dem Krieg in Schutt und Asche wie fast das ganze Königsberg. Aus den Trümmern wuchs die sowjetische Betonstadt Kaliningrad. Jeder Gedanke an die deutsche Vorgeschichte galt als Tabu. Nur in Deutschland gab es Königsberger Marzipan weiterhin — zwei Firmen hatten die alten Rezepte gerettet.

Nun aber kommt die Spezialität erstmals auch wieder aus der Stadt am Pregel. „Schlimm, dass solche schönen Traditionen hier so viele Jahre vergessen und unterdrückt worden sind“, sagt sie. Mit 16 las sie zum ersten Mal von der Königsberger Leckerei und staunte. Schon auf der Hochzeit von Herzog Albrecht 1566 reichte ein Apotheker Marzipan — als verdauungsfördernde Arznei.

Erste Backversuche misslangen der Schülerin. Doch dann fand sie in einer hundert Jahre alten Ausgabe der „Königsberger Allgemeinen“ einen Artikel, in dem das Rezept in allen Einzelheiten beschrieben war. Schwierig war vor allem das Flämmen — jene Prozedur, durch die das klassische Königsberger Marzipan an der Oberfläche karamellisiert wird und seine charakteristische ockerbraune Färbung erhält.

Aus dem Hobby ist ein kleines Familienunternehmen geworden. Die Motive entwirft Vater Pjotr Toropow, ein Künstler und Keramiker: Fischchen, Nixen, schlangenköpfige Fabelwesen, lauter kleine Kunstwerke. Ein Großverkauf ist aber nicht geplant. „Das ist keine Massenware.“