"Medienkrieg" Medien-Lügen: Desinformation als Waffe
In NRW findet ein Krieg statt, der mit Worten und Bildern geführt wird: Russlanddeutsche und Türken werden medial aufgestachelt. Und nicht nur sie.
Solingen/Remscheid. Hätte sich der „Fall Lisa“ nicht im Januar 2016 zugetragen, in der aufgeheizten Stimmung nach der Kölner Silvesternacht, hätte der größte Staatssender Russlands die Chance vielleicht gar nicht erkannt. So aber erzählte Iwan Blagoj auf dem „Ersten Kanal“, ein 13-jähriges russlanddeutsche Mädchen sei von drei Flüchtlingen per Auto entführt und in deren Wohnung 30 Stunden vergewaltigt worden; die deutsche Polizei unternehme nichts.
Mit der frei erfundenen Geschichte gelang der russischen Propaganda erstmals, was lange Jahre undenkbar schien: Russlanddeutsche ließen sich in etlichen deutschen Städten zu Demonstrationen gegen die angebliche Bedrohung durch Flüchtlinge und gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel anstacheln.
Die Demonstrationen fanden statt, nachdem längst klar war, dass die 13-Jährige sich nach Probleme in der Schule und Krach mit den Eltern lediglich bei ihrem 19-jährigen Freund versteckt hatte; passiert war überhaupt nichts. In Bielefeld gingen trotzdem 250 überwiegend Russlanddeutsche auf die Straße, in Köln vermischten sich rund 200 mit Anhängern von AfD, Pro NRW und NPD.
Warum, kann der Solinger SPD-Vorsitzende und Landtagsabgeordnete Josef Neumann erklären: Viele Russlanddeutsche informierten sich weniger aus deutschen als aus russischen Medien — und seien damit direkt der Propaganda ausgesetzt, die der russische Präsident Putin seit Jahren nicht nur im Inland, sondern vor allem gegen Deutschland, Großbritannien und die USA richtet. Allein die entsprechenden TV-Sender wie „Russia Today“ (in Deutschland als RT Deutsch bekannt) oder „Sputnik“ lässt sich Russland schätzungsweise rund 400 Millionen Euro jährlich kosten.
Gesteuerte Desinformation, beschrieb der von Putin eingesetzte russische Generalstabschef Walerij Gerassimow 2013 in einer öffentlichen Rede, ist Teil der asymmetrischen Kriegsführung Russlands, die im Grundsatz zwei Ziele verfolgt: Im Inneren sollen die Russen von der Verkommenheit des Westens, der Überlegenheit Russlands und der Rechtmäßigkeit seiner Aggressions-Politik überzeugt werden. Im Westen ist das Ziel ein anderes: Wirre und widersprüchliche Falschinformationen sollen den Glauben und das Vertrauen in den eigenen Staat und die freien Medien erschüttern, es geht um die Relativierung der westlichen Standpunkte. Über den Abschuss des Malaysia Airlines Flug 17 verbreiteten die Kreml-Medien so viele Falschmeldungen, dass in der öffentlichen Meinung die Schuldigen bis heute nicht feststehen.
Der Westen tut sich schwer, auf die gesteuerte russische Desinformation zu reagieren. Mehrere nationale Parlamente und Regierungen hielten Putins Propaganda-Feldzug immerhin in öffentlichen Berichten fest. Bei der EU hat im Herbst 2015 eine „East StratCom Task Force“ den Dienst aufgenommen, die Beispiele für Desinformation in russischen und Pro-Kreml-Medien sammelt und wöchentlich in einem Newsletter veröffentlicht. Ganze acht Beamte arbeiten in der Task Force, den Bericht gibt es nur auf Englisch, in Deutschland wird er kaum gelesen. Die Nato unterhält in Riga ein „Strategic Communications Centre of Excellence“, das die Arbeits- und Wirkungsweise russischer Propaganda enttarnen soll. Ansonsten setzt der Westen auf die Stärkung unabhängiger Medien.
Wer sich in deutschen Medien kritisch über den russischen Präsidenten oder Russlands Politik — sei es die Besetzung der Krim, der Militäreinsatz in der Ostukraine oder die Waffenhilfe für Assad in Syrien — äußert, bekommt es schnell mit „Putins Trollen“ zu tun. Rund 400 bezahlte Mitarbeiter sollen allein von St. Petersburg aus täglich im Netz, auf Blogs und in sozialen Medien mit Kommentaren die Glaubwürdigkeit westlicher Medien und Journalisten zerstören. Horst Kläuser, Chefreporter bei WDR 2 und Leiter des dienstäglichen Auslandsmagazins „Weltzeit“, erfährt seit geraumer Zeit am eigenen Beispiel, welche Ausmaße die russische Staatshetze annehmen kann; permanente Beleidigung ist noch ihre harmloseste Variante.
Inzwischen dämmert Politikern, dass der türkische Staatspräsident Erdogan seine Sicht der Welt bei den in Deutschland lebenden Türken und türkischstämmigen Deutschen offenbar mit ähnlichen Desinformations-Strategien durchsetzt und seinen Geheimdienst MIT Jagd auf Anhänger der Gülen-Bewegung machen lässt.