Melissmell empört sich
Berlin (dpa) - Als Serge Gainsbourg 1979 die Marseillaise als Reggae-Version aufnahm, war das ein Riesenskandal. Traditionalisten sahen die französischen Werte besudelt.
Ein Aufschrei geht heute nicht mehr durch das Land, wenn ein Künstler die Marseillaise remixed, gleichwohl taugt die französische Nationalhymne noch immer für klare Statements. Solch eines hat Melissmell abgegeben, die die Marseillaise zusammen mit der Internationalen zu dem kämpferischen Song „Aux Armes“ zusammengeführt hat. Melissmell - das ist der Künstlername von Mélanie Francette Coulet, eine Mischung aus Melisse und Nirvana („Smells Like Teen Spirit“). Melissmell ist auch der Name ihrer Band, zusammen haben sie das Album „Écoute s'il pleut“ veröffentlicht.
„Aux Armes“ ist ein Lied der Empörung gegen die Zustände im Land und die herrschende Politik. „In der Schule habe ich die 'Marseillaise' immer gemocht. Aber heute will ich von dieser Hymne, die gar nicht mehr für die Werte der Republik steht, nichts mehr wissen. Und jedes Mal, wenn ich 'Aux armes“ singe, sehe ich die französische Flagge brennen“, sagte sie mit viel Groll dem Magazin „L'Express“. „Les enfants de la crise“ (Kinder Krise) oder „Sobre la muerte“ zielen in eine ähnliche Richtung.
Hier ist jemand wütend, sehr wütend auf sein Land: Die Zeit des Ruhms sei vorbei und die Tyrannei aufgezogen, heißt es in dem rebellischen Song. Entsprechend kraftvoll ist auch der Sound von „Aux armes“, mit dem Melissmell ihr Debütalbum „Écoute s'il pleut“ eröffnet. Hier wird ordentlich gerockt, wie man es von einer französischen Sängerin mit dieser Wucht nur selten hört.
Für späte Debüts ist in Frankreich momentan offenbar die rechte Zeit. 30 Jahre alt war Zaz bereits, als ihr selbstbetitelter Erstling im letzten Jahr erschien und auch in Deutschland ein Bombenerfolg wurde. Als neue Piaf wurde sie gefeiert, mehr an Janis Joplin und Guesch Patti - und natürlich auch ein bisschen Piaf - erinnert die Stimme von Melissmell, die ähnlich lange „vagabundierend“ durch die Gegend zog wie Zaz. Auch sie ist 30. Manchmal dauert es eben etwas länger...
Aber Melissmell singt nicht nur mit geballter Faust. Sie hat auch einige Balladen im Programm, die mehr am klassischen Chanson geschult sind. Das traurige Erinnerungsstück „Je me souviens“ etwa, das von den entschwundenen Träumen handelt und direkt unter die Haut geht. Und beim Titelsong „Ecoute s'il pleut“ lässt die Sängerin aus der Ardèche-Region die Gitarren unangerührt und setzt auf Piano und Sinfonie. Schnüff. Zusammen ergibt das ein spannungsgeladenes Album zwischen Rebellion, Leidenschaft und Tristesse, mit dem Melissmell in Frankreich bereits für Furore gesorgt hat.