Mittelalter Turniere: Mach’ mir den Ritter!

Turniere, auf denen sich edle Helden und finstere Gestalten messen, sind in Mode.

Düsseldorf. Wenn Michael Cornély in seine Heroldstracht schlüpft, scheint die Zeit irgendwo zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert stehen geblieben zu sein. Dann wird aus dem Geschichts- und Englischlehrer aus Krefeld ein stattlicher Bote aus dem Mittelalter. Doch selbst in seinem reich verzierten Wams kann Michael von Aragon, wie er sich dann nennt, seine (neuzeitliche) Profession nicht ganz verleugnen. Mit strengem Gesichtsausdruck, ganz so, als wolle er ungezogene Schüler maßregeln, schreitet er über den staubigen Turnierplatz und schlägt mit seinem Abakus, einer Art Heroldsstab, den Takt.

Die Reihen sind dicht gefüllt. In der Sprache der Minnesänger begrüßt der 44-Jährige mit eindringlicher Stimme das Publikum, bevor er für das unkundige Volk ein "Willkommen, Bürger von Broich!" hinterherschickt. Dabei sind die Besucher mit Jeans und T-Shirt sowieso in der Minderheit. Knechte, Mägde, Ritter und Burgfräulein bevölkern Schloss Broich in Mülheim an der Ruhr. Sie trinken Met, essen Wildbratwurst und warten auf das Spektakel, das der Herold ankündigt. Die Menge buht und johlt, noch bevor Michael von Aragon die Kontrahenten vorstellt, die sich - wie sollte es anders sein - um eine schöne Gräfin schlagen wollen. "Brot und Spiele" waren gestern, heute heißt es: "Mach’ mir den Ritter!"

Ritterfeste erleben eine Renaissance. Ob im Ruhrgebiet auf Schloss Broich, Burg Linn bei Krefeld oder Burg Satzvey in der Eifel - immer mehr Menschen werden in den Bann des Mittelalters gezogen. Wurden die Nostalgie-Fans in geschmiedeten Rüstungen, Kettenhemden und Leinenkleidern vor 15 Jahren noch als ein Haufen ewig Kindgebliebener belächelt, wächst ihre Gemeinde heute rasant. Sie geben sich mittelalterliche Namen und campieren im Schutze von Burgmauern in Zelten, die aus alten König-Artus-Filmen stammen könnten. Historisch korrekt - ohne Plastik, Cola-Dosen und Handy, dafür mit Holzschemeln und Tonkrügen. Das kommt an. Bis zu 4000 Touristen zieht es pro Tag allein in die Eifel, wenn auf Satzvey im September Ritterturniere stattfinden.

Das mittel- alterliche Leben sei aus heutiger Sicht weniger komplex gewesen, nennt Cornély einen Grund für die Begeis- terung der Menschen. "Die Produktion von Waren und der Verkauf waren überschaubar." Gerade für Familien sei ein Mittelalter-Spektakel mit Heerlagern, Händlern, Künstlern und Turnieren lebendiger Geschichtsunterricht. Kein Wunder, dass Geschichtslehrer Cornély davon nicht mehr los kommt.

Der 44-Jährige ist der bundesweit bekannteste Turniersprecher, wobei er seine Heroldsrolle einem Missverständnis verdankt. Eigentlich hatte er sich mit seiner Mittelalter-Band Anfang der 90er Jahre nur für einen Auftritt auf Burg Satzvey bemüht. "Da wurden wir gefragt, ob wir auch einen Herold stellen könnten", erinnert er sich. Der Pädagoge dachte an jemanden, der die Musik ansagt. Gemeint war aber einer, der beim Turnier als Bindeglied zwischen Rittern und Publikum fungiert, der Schiedsrichter und Ansager in einem ist und die Spannung aufrecht erhält. "Zuerst fühlte ich mich wie im falschen Film." Heute ist Cornély ganz Profi, wenn die Luft auf dem Turnierplatz vibriert, zwei Ritter mit gesenkten Lanzen aufeinander zu galoppieren, Holz splittert und einer der Kontrahenten aus dem Sattel katapultiert wird. Dann verschmelzen Fiktion und Realität, dann fiebern die Zuschauer mit und bangen um ihre Helden.

Die Helden, das sind die "Ritter von Satzvey" und deren Gefolge. Mit ihren Turnieren sind sie fest auf der Burg von Graf Beissel von Gymnich verankert, doch auch im In- und Ausland ist ihre Kunst gefragt. Denn die Stuntmen bieten mehr als spektakuläre Kampf- und Reitszenen. "Vor acht Jahren haben wir damit begonnen, die Turniere in kleine Filme einzubetten", sagt Herold Michael, der sein Hobby zum "Zweit-Beruf" gemacht hat. Mit Witz, aber auch einer Prise Ironie schreibt er passende Erzählungen. "Wenn der Veranstalter es wünscht, spielen wir ein historisches Ereignis nach." Dann ziehe er einen örtlichen Historiker hinzu und dramatisiere die Geschichte.

Unterstützung erhält er von Stunt-Koordinator und "Ritter" Steve Szigeti. Gemeinsam schauen sie, was machbar ist. "Die Zuschauer müssen einen Nervenkitzel erleben", erklärt Szigeti. Deshalb tüftelt der gebürtige Ungar unentwegt an neuen Stunts, in denen seine Ritter durch Feuerwände reiten oder sich von Zinnen stürzen. "Irgendwann wollen wir eine Historiengeschichte à la Hollywood spielen", schwärmt Cornély.

Franz Josef Graf Beissel von Gymnich ist ein Romantiker. Als der Hausherr von Burg Satzvey Ende der 70er Jahre die Idee hatte, auf seinem Anwesen Ritterspiele zu veranstalten, wurde er von vielen belächelt. "Doch ich wollte Geschichte unbedingt spannend und lebendig in unserer historischen Kulisse inszenieren", erinnert sich Graf Beissel an die Anfänge. Was 1981 dann mit einer kleinen Laienspielgruppe begann, entwickelte sich schnell zu ausgewachsenen Festspielen.

Die Zusammenarbeit mit dem Stuntreiter Steve Szigeti und seinen "Rittern" sowie dem Historiker Michael Cornély, der Regie und Choreografie verantwortet, nennt Graf Beissel "einen Glücksfall". Gemeinsam gelinge es, eine Atmosphäre von "Rittern, Minne und Romantik" zu schaffen. Lagergruppen, die das historische Leben detailgetreu darstellen, Spielleute und Handwerker tragen ebenso dazu bei - insgesamt mehr als 400 Mitwirkende. Die Herbstspiele finden statt am 1./2. und 8./9. September. Infos: