Katastrophe in Duisburg 2010 Neues Gutachten zur Loveparade sieht Planungsmängel
Düsseldorf (dpa) - Planungschaos und falsche Erwartungen: Ein für die Staatsanwaltschaft wichtiges Gutachten stützt vor dem Prozess um die Duisburger Loveparade-Katastrophe die wesentlichen Vorwürfe der Opfer und der Anklage gegen die Veranstalter.
Nach einem Bericht der „Rheinischen Post“ soll unter anderem die Gefahr von Stockungen unterschätzt worden sein, außerdem habe man die Risiken durch mögliche Besucherstaus im Zugangstunnel zum Gelände nicht ausreichend bedacht.
In dem 2000 Seiten starken Gutachten hat der Sicherheitsexperte Jürgen Gerlach im Auftrag der Duisburger Staatsanwaltschaft untersucht, welche Fehler die Verantwortlichen bei der Planung und Genehmigung im Vorfeld des Festivals gemacht hatten. Bereits vor einigen Tagen hatte die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, Gerlach stütze die Anklage.
Bei der Loveparade am 24. Juli 2010 waren bei einem Gedränge an der Zugangsrampe zum Partygelände 21 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 650 wurden verletzt. Tausende vor allem junge Technofans wurden traumatisiert, als sie während der Massenpanik um ihr Leben bangten. Einige von ihnen leiden bis heute körperlich und seelisch unter den Folgen.
Nach Gerlachs Gutachten sollen die „Vereinzelungsanlagen“ falsch konzipiert gewesen sein, schreibt die „Rheinische Post“. Mit ihnen sollten vor sieben Jahren eigentlich die Besucherströme zum Loveparade-Gelände gesteuert werden. Das Gutachten kommt der Zeitung zufolge zu dem Schluss, die Anlagen seien nicht auf die erwarteten Besuchermengen ausgerichtet. Sie seien unter anderem sehr unterschiedlich ausgefallen und nicht breit genug gewesen.
Der Wuppertaler Professor Gerlach, ein Experte für Verkehrssicherheit und die Sicherheit bei Großveranstaltungen, kritisiert in seiner Arbeit demnach auch die Planungen für den Karl-Lehr-Tunnel, durch den die Festivalbesucher auf dem Weg zum Eingang gehen mussten. Diese enge Röhre sei der einzige Ab- und Zugang zum Gelände gewesen und somit ein Gefahrenpunkt. Man habe die Gefahr von Stockungen und Rückstaus im Tunnelbereich möglicherweise bei den Planungen unterschätzt, kritisiert Gerlach laut Zeitung.
Die Anklagebehörde erklärte am Freitag, eine abschließende Bewertung sei erst möglich, wenn das Gesamtgutachten vorliege. Der erste Teil befasse sich vor allem mit der Planungs- und Genehmigungsphase im Vorfeld. Der noch ausstehende Teil nehme dann die Abläufe am Veranstaltungstag in den Blick.
Loveparade-Ombudsmann Jürgen Widera kennt das Gutachten nach eigenen Angaben nur aus der Zeitung. „Mir ist nicht aufgefallen, was daran so absolut neu ist“, sagte der Pfarrer. Er vertritt seit 2013 Loveparade-Opfer gegenüber Behörden.
Der Mammut-Prozess gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und vier Beschäftigte des Veranstalters beginnt am 8. Dezember vor dem Landgericht Duisburg. Verhandelt wird allerdings aus Platzgründen in einem Saal im Düsseldorfer Kongresszentrum. Die Angeklagten müssen sich unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verantworten. Bis Ende 2018 sind zunächst 111 Verhandlungstage eingeplant. Das Gericht steht unter Zeitdruck: Liegt bis zum 27. Juli 2020 kein erstinstanzliches Urteil vor, verjähren die vorgeworfenen Taten.
Die Anklage hatte sich zunächst ganz wesentlich auf ein Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still gestützt - doch das befanden die Richter wegen gravierender Mängel als nicht verwertbar. Die Staatsanwaltschaft gab daraufhin das Gutachten bei Gerlach in Auftrag.