Notruf: Die „112 “ wird 40 Jahre alt

Siegfried Steiger kämpfte nach einem persönlichen Schicksalsschlag für die zentrale Nummer.

Stuttgart. Am Anfang stand ein Schicksalsschlag. 1969 stirbt Siegfried Steigers Sohn Björn nach einem Unfall. Auf dem Heimweg vom Schwimmbad erfasst den Neunjährigen ein Auto. Passanten rufen sofort Polizei und Rotes Kreuz. Doch trotzdem dauert es fast eine Stunde, bis der Krankenwagen eintrifft. Björn stirbt nicht an seinen Verletzungen, sondern an einem Schock, in dessen Folge er zu atmen aufhört. Damals schwört sich sein Vater aus dem baden-württembergischen Winnenden, alles zu tun, um das Rettungssystem zu verbessern.

Ende der 60er Jahre gibt es nur in einigen Großstädten die Notrufnummern 110 und 112. Oft müssen Unfallmelder das Telefonbuch wälzen, um die Nummer der zuständigen Polizei herauszufinden. Krankentransporter sind damals oft nur mit einem einzigen schlecht ausgebildeten Fahrer ausgestattet und ohne Funkgerät. Notrufmelder an den Straßen fehlen.

Ein zentraler Notruf gilt damals als zu teuer. „Nicht finanzierbar“ heißt es, als Steiger nachhakt. Zahlen gibt es allerdings nicht. Deshalb erkundigt er sich kurzerhand selbst bei der Deutschen Post, was es koste, in allen Ortsnetzen des Regierungsbezirks Nordwürttemberg die Notrufnummern 110 und 112 einzurichten. „Eine Stunde später hatte ich den Preis“, erinnert er sich.

387 000 D-Mark (rund 197 869 Euro) fallen für den Regierungsbezirk an. Bei vier Millionen Einwohnern sind das zehn Pfennig pro Person. Pro Kreis muss Steiger rund 20 000 Mark eintreiben. Er geht Klinken putzen. Meist gibt es schon bei der 110 ein spontanes „Ja“. Wer zögert, dem verspricht er die 112 für die Feuerwehr noch kostenlos dazu. Am Ende ziehen alle Kreise mit.

Doch Steigers Ziel ist ein bundesweites System. Er klagt gegen das Land Baden-Württemberg auf Einführung der Nummern. Zwar verliert er, aber das Medieninteresse ist geweckt, und eine neue Diskussion kommt in Gang.

Am 20. September 1973, nach einer Sitzung der Ministerpräsidenten, ruft Bundespostminister Horst Ehmke an. „Ich darf Ihnen sagen: Ihr Dickschädel hat sich durchgesetzt. Wir haben den Notruf beschlossen“, zitiert der heute 83 Jahre alte Steiger den SPD-Politiker. 1969 gründete er die Björn-Steiger-Stiftung, die es sich zum Ziel gemacht hat, die Notfallhilfe zu verbessern und zu optimieren.

Seit 1991 gilt die 112 sogar EU-weit. Die Europäische Notruf-Assoziation (EENA) spricht von mehreren hundert Millionen Anrufen. Zahlen für Deutschland gibt es kaum, weil die Leitstellen regional geführt werden. Nach dem jüngsten Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) von 2009 gehen an einem Werktag bundesweit rund 35 000 rettungsdienstliche Anrufe bei den Leitstellen ein. Am Wochenende sind es im Schnitt 25 000 pro Tag. Knapp die Hälfte stufe das Team als Notruf ein.