Ungewöhnliche Leidenschaft: Wolfgang Stöcker archiviert Staubproben
Der Kulturhistoriker Wolfgang Stöcker sammelt Staub. Bei Führungen will er seine Begeisterung weitergeben.
Köln. Mit Großmutters Zuckerklümpchen-Sammlung fing sie an, die Leidenschaft von Wolfgang Stöcker. „Als kleiner Junge habe ich die verrücktesten Sachen gesammelt“, sagt der 43-jährige Kölner. Die Klassiker waren dabei Briefmarken, Steine, aber auch Wurzeln, Spinnweben, Seewasser. „Archivieren finde ich gut“, sagt Stöcker. Heute bewahrt er Staub auf, mehr als 300 kleine Plastikbeutel mit Proben aus aller Welt, in Kategorien eingeteilt und in Aktenordner geheftet — im Staubarchiv, das er 2004 gegründet hat.
„Staub in Bauwerken ist das kleinste gemeinsame Vielfache unserer Kultur“, sagt der Kulturhistoriker. Staub als Kulturfolger, negativ aufgeladen, ein sympathischer Anarcho, der immer wieder kommt — etwas abgedreht klingt es, was Wolfgang Stöcker da so über den Staub erzählt. Er selbst sagt: „Das hat schon was von Blödsinn. Aber alles führt zu einem Sinn.“ Er sieht im Staub einen sozialen Indikator, der etwas über die Pflege und Wertigkeit von Orten aussagt.
Daran lässt er Interessierte teilhaben: Er bietet Stadtführungen an, „Staub und Bau“, in Köln und auch anderswo, er hält in Kirchen, Burgen und Theatern Vorträge über den Staub. Die Leute kommen. Oft sind sie sich nicht sicher, ob das ernst gemeint oder so ein Kunst-Ding ist. „Ich zeige ihnen den Mikrokosmos in einem Bauwerk. Ich weise nicht auf Baudaten und Schmuck hin, sondern auf Taubendreck, Spinnweben, auf die besondere Textur von Staub, auf die erlesene Farbigkeit einer dreckigen Wand“, sagt Stöcker. „Dieser Verfall hat etwas Poetisches. Es bringt die Menschen zum Nachdenken, zum Sinnieren über die Zeit.“
Einen Favoriten unter den Stäuben hat Stöcker übrigens nicht. „Sie sind alle fantastisch.“ Neben dem obligatorischen Staub aus dem Kölner Dom — grauer Steinstaub — hat er beige-roten aus Speyer, grünlichen von Hawaii, rötlichen aus der Sahara und vanillefarbenen mit schwarzen Sprenkeln von Fuerteventura, welchen aus dem Opernhaus in Sydney und von der Weihnachtsmesse des Papstes in Rom. Den Staub aus Peking hätte er beinahe nicht bekommen; der Zoll machte Schwierigkeiten.
Viele seine Staubproben hat Stöcker sich nicht von Reisen mitbringen lassen, sondern sie konkret angefragt. Ein kleines Augenzwinkern sei schon dabei, wenn er seine Anschreiben mit der Bitte um Staub an höchste Stellen in deutschen Rathäusern schickt. „Ich löse da kleine Kommunikationserdbeben aus“, sagt Stöcker. „Manchmal bekomme ich sofort Staub zugeschickt, manchmal muss ich drei weitere Briefe schicken.“ Diese Kommunikation macht für Stöcker einen Teil der Faszination aus: „Menschen, die sich sonst nicht mit Staub befasst hätten, sammeln für mich welchen. Vor kurzem hat der Oberbürgermeister von Essen welchen geschickt — und sogar von Klaus Wowereit habe ich Staub bekommen.“