„Ohne freie Presse gibt es keine Demokratie“
Bundesverfassungsrichter spricht zum 200. Geburtstag des Solinger Tageblatts.
Solingen. "Ohne freie Presse gibt es keine Demokratie." Sagt Udo Di Fabio. Der Richter am Bundesverfassungsgericht streichelt die Seele seiner Gastgeber vom Solinger Tageblatt, das in diesen Tagen seinen 200. Geburtstag feiert. Auf der Jubiläumsfeier des Blattes, das 1809 noch "Der Verkündiger" hieß, stellt Di Fabio im voll besetzten Solinger Konzerthaus seine Eingangsthese jedoch gleich wieder in Frage: "Das antike Griechenland hat doch schließlich die Demokratie erfunden, ohne dass in Athen Zeitungsverkäufer standen." Aber das meint er nicht so ernst, damals gab es Volksversammlungen, die heute auf diese Weise nicht mehr die Regierenden kontrollieren könnten.
Die Kontrolle übernehmen Gerichte, allen voran das Bundesverfassungsgericht, für das Di Fabio Urteile schreibt und so die Politik in die Schranken weist. Eben diese Aufgabe spricht er nicht minder der Presse zu: "Die bloße Möglichkeit, dass ein Verhalten von Inhabern öffentlicher Ämter jederzeit zum Gegenstand einer Presse-Recherche werden kann, dämpft die Hybris der Macht."
Aber diese Pressefreiheit sieht er bedroht. Das Internet berge die Gefahr, dass Nachrichten in einzelne Bestandteile zerlegt, kommerzialisiert und jedem Nutzer individuell zugestellt werden. Analytisches Herstellen von Zusammenhängen: Fehlanzeige.
Aber ist es nicht gerade ein Zeichen von Demokratie und Pressefreiheit, dass heutzutage jeder seine Meinung ungefiltert verbreiten darf? Eben hierin sieht Di Fabio eher eine Bedrohung: "Kommerzielle oder anonym auftretende politische Interessengruppen können die scheinbare Anarchie des Netzes für ihre Zwecke geschickt nutzen." Di Fabio gibt ein ganz alltägliches Beispiel: "Wer schreibt für Wikipedia, das jeder Schüler als digitales Lexikon ohne zu zögern konsultiert? Warum zeigt sich das Gesicht der Kommunikationsteilnehmer nicht offen im Netz?" So weit sei die mittelalterliche Burka auch von uns nicht entfernt.
Der höchste Richter warnt vor dem Irrglauben, "billige Information sei per Flatrate genauso gut zu haben". Eine solche Haltung werde zur Verdrängung der Qualitätspresse führen. Di Fabio sieht den 200.Geburtstag einer Zeitung da eher als Anlass für die Bürger, sich selbst zu gratulieren- "zu dem, was sie als Fundament ihrer Freiheit schätzen".
Freiheit, das sagt anschließend Bernhard Boll, Herausgeber des Solinger Tageblatts, zur Verblüffung der Zuhörer, sei für ihn ein Wort, das sich mit "V" schreibe. "V" wie Verantwortung. Verantwortung für Bildung. Er nimmt den Geburtstag seines Blattes zum Anlass, selbst ein Stück Bildung zu verschenken. Unzählige Schatzkisten stapeln sich an diesem Nachmittag auf der Bühne des Konzerthauses. Darin: Ein Buch für jeden Zweitklässler in Solingen.