Opferzahl steigt nach Zugunglück - Lokführer hinter Gittern
Santiago de Compostela (dpa) - Vier Tage nach dem verheerenden Zugunglück in Spanien ist die Zahl der Todesopfer auf 79 gestiegen. Wie die Regionalregierung von Galicien mitteilte, erlag eine US-Amerikanerin am Sonntag im Krankenhaus ihren Verletzungen.
Derweil sollte der Lokführer am Abend dem Untersuchungsrichter vorgeführt werden, wie das Oberlandesgericht von Galicien mitteilte. Der 52-jährige Francisco José Garzón, der den Unglückszug am Mittwochabend kurz vor dem Pilgerort Santiago de Compostela mit viel zu hoher Geschwindigkeit gelenkt hatte, steht im Zentrum der Ermittlungen.
Die Behörden befürchteten, dass die Zahl der Todesopfer in den nächsten Tagen weiter steigen könnte. Amtlichen Angaben zufolge wurden am Sonntag noch 70 Menschen in Krankenhäusern von Santiago behandelt. 22 Menschen seien noch in kritischem Zustand, hieß es. Unter den insgesamt 178 Verletzten waren auch Reisende aus Großbritannien, Südamerika und den USA. Die offizielle Trauerfeier für die 79 Todesopfer des Unglücks soll am Montag (um 19.00 MESZ) in der Kathedrale von Santiago stattfinden. Erste Todesopfer wurden am Samstag beigesetzt.
Der der fahrlässigen Tötung beschuldigte Lokführer wurde am Sonntag in die Zelle einer Polizeiwache gebracht und sollte vernommen werden. Spekulationen dass der 52-Jährige zum Zeitpunkt des Unglücks mit seinem Handy telefoniert haben soll, wiesen die Ermittler laut Medienberichten zurück.
Am Samstag hatte der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Zugführer bekanntgegeben. Nach bisherigen Erkenntnissen fuhr Garzón am Mittwochabend wenige Kilometer vor der Einfahrt in den Bahnhof von Santiago in einer Tempo-80-Zone aus noch unbekannten Gründen mit 190 Kilometern pro Stunde.
Garzón war bereits Donnerstagabend am Krankenhausbett festgenommen worden. Am Freitag verweigerte er laut Medienberichten die Aussage. Auch das Angebot psychologischer Betreuung habe er zurückgewiesen. Einem Bericht der Zeitung „El Mundo“ zufolge soll Garzón kurz nach dem Unglück gesagt haben: „Ich habe es vermasselt, ich möchte sterben.“ Laut Medien hat der Lokführer auch im Gespräch mit Vorgesetzten eingeräumt, viel zu schnell gefahren zu sein.
„Es gibt rationale Hinweise dafür, dass er eventuell Verantwortung für diese Ereignisse trägt“, sagte der Innenminister über den Lokführer. Das eingeleitete Verfahren gegen Garzón ist eine Art Voranklage, die im deutschen Recht so nicht existiert.
An der Seite ihres Kollegen Fernández Díaz wies Verkehrsministerin Ana Pastor Vorwürfe von Gewerkschaften, Medien und Kollegen des Lokführers zurück, die Sicherheitssysteme an der engen Unglückskurve seien unzureichend. Das System erfülle alle spanischen und europäischen Vorschriften. „Auch die Arbeiter müssen sich an die Vorschriften halten“, sagte sie.
Der beim Unfall am Kopf verletzte Garzón wurde auch vom Präsidenten der Eisenbahninfrastruktur-Behörde Adif, Gonzalo Ferre, belastet. Der Eisenbahner hätte den Bremsvorgang gemäß den Sicherheitsvorschriften schon vier Kilometer vor der Unfallstelle beginnen müssen, sagte Ferre. Er betonte, alle Sicherheitssysteme hätten funktioniert.
Warum der Zug viel zu schnell in die Kurve vier Kilometer vor dem Bahnhof des Wallfahrtsortes einfuhr, blieb jedoch vorerst unklar. Die Lokführer-Gewerkschaft Semaf nahm den Lokführer in Schutz und erklärte, das Sicherheitssystem kurz vor Santiago beim Übergang von der Hochgeschwindigkeits- auf die Normalstrecke sei ungeeignet.