Pilotprojekt: Auszeit für pflegende Angehörige

Wer ein hilfsbedürftiges Familienmitglied betreut, kommt oft an seine Grenzen. Seminare sollen Betroffene stärken.

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Düsseldorf. Das Wort Feierabend gibt es für Hildegard Ciccia (60) aus Monheim seit Jahren nicht mehr. Ihr Mann Benedetto (71) erkrankte nach einer Hirnhautentzündung an Demenz. 2009 hat sie für ihn ihre Stelle bei einer Versicherung aufgegeben und stattdessen einen aufreibenden Rund-um-die-Uhr-Job übernommen.

Seitdem sagt sie ihm morgens, welcher Tag es ist und dass er etwas essen muss. Seitdem hat sie nicht mehr durchgeschlafen, denn er leuchtet ihr jede Nacht drei bis vier Mal mit einer Taschenlampe ins Gesicht: „Schläfst du?“ Die Situation sei superbelastend, sagt sie. Dennoch tue es ihr weh, wenn ihre Geschwister sagen: „Pack ihn doch ins Heim.“ Das könne sie nicht: „So lange es geht, werde ich ihn nicht abschieben.“

Pflegende Angehörige sind oft so eingespannt, dass sie für ihr eigenes Wohlergehen keinen Blick und keine Zeit haben. Zu ihrer Entlastung haben die Krankenkasse Barmer GEK und das NRW-Gesundheitsministerium ein Pilotprojekt auf den Weg gebracht.

In einem viertägigen Seminar in einem Hotel im westfälischen Bad Sassendorf sollen Angehörige zur Ruhe kommen, sich mit ähnlich Betroffenen austauschen, von Psychologen beraten werden und an Workshops zur Bewältigung der Pflege oder der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf teilnehmen. Ziel des Projekts mit der etwas bemühten Abkürzung „Pause“ (Pflegende Angehörige unterstützen, stärken, entlasten) ist es, den Menschen eine Auszeit zu ermöglichen und sie für die Rückkehr in den Pflegealltag zu stärken.

„Ohne Menschen wie Hildegard Ciccia würde Pflege in unserer Gesellschaft nicht funktionieren“, sagt Heiner Beckmann, Landesgeschäftsführer der Barmer GEK in NRW. Von ihnen wird man mehr brauchen: Heute gibt es 2,5 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland, bis 2050 sollen es 4,5 Millionen sein.

Das Pilotprojekt wird mit jeweils 200 000 Euro von der Barmer GEK und dem Gesundheitsministerium gefördert. Die Kasse hilft auch bei der Suche nach geeigneten Pflegediensten während der Abwesenheit. „Aber vielen fällt es schwer, Pflegebedürftige überhaupt allein zu lassen“, sagte Juliane Diekmann, bei der Barmer GEK zuständig für den Pflegebereich. Nach dem Seminar soll es für die Teilnehmer eine „mehrstufige Nachsorge“ geben, bei der sie bis zu sieben Monate begleitet werden. Zudem werden sie ermutigt, Selbsthilfegruppen in ihrer Region zu gründen.

Insgesamt 500 Betroffene können bis Ende 2015 an sechs Veranstaltungen teilnehmen. Voraussetzung ist, dass sie in NRW gesetzlich versichert sind und ein Familienmitglied pflegen. Ihre Erfahrungen werden bis 2016 von Experten der Sporthochschule Köln ausgewertet. Der Abschlussbericht soll zeigen, ob Entlastungsseminare wie „Pause“ in das Regelangebot aller Kassen aufgenommen werden könnten.