Porträt: „Meine Welt erträgt nicht jeder“
Werner Kieser schult mit seinem Training die schmerzenden Rücken der Republik und liebt die Philosophie.
Essen. Was würde er tun, wenn er Kanzler wäre? "Alle Politiker abschaffen. Und das Volk abends nach den Hauptnachrichten darüber abstimmen lassen, wie es mit dem Land weitergeht", antwortet der Schweizer Werner Kieser unverblümt.
Der 69-Jährige liebt das Provozieren. Überraschend für einen Mann, der ein Unternehmen mit 106 Millionen Euro Umsatz führt und mit seinen 161 Fitness-Studios und 210.000 Kunden Marktführer in Deutschland ist.
Er sitzt in einem Hotel in Essen, ganz in schwarz gekleidet - wie immer. Seine Fingernägel sehen aus wie frisch manikürt. Abends wird er einen Vortrag halten. Jetzt bestellt er erstmal sein Lieblingsgetränk: Kakao.
Statt "Grüezi" sagt er "Guten Tag". Den Schweizer hört man ihm kaum an. Seine langen Sätze spricht er druckreif. Oft baut er darin Zitate großer Philosophen ein. Die liebt er. Darum hat er auch gerade an einer englischen Fern-Uni seinen Bachelor-Abschluss in Philosophie gemacht.
Ende der 1980er hat er ein Jahr in Hamburg gelebt. Bevor er seine ersten Studios in Deutschland eröffnete, "wollte ich erst sehen, wie die Deutschen ticken", sagt er. Dann formuliert er den Satz um. "Ich wollte das deutsche Wesen ergründen."
Während Kieser erzählt, fällt sein Blick auf die vielen Grünpflanzen im Restaurant. "Das ist doch nicht schön. Also, wenn ich eine Pflanze wäre, würde ich lieber draußen sein", sagt er. Noch nie habe er seiner Frau Blumen geschenkt. "Sie würde sich sicher freuen, aber bunte Blumen gehören nicht ins Haus", sagt er und schiebt die Blume auf dem Tisch mit einem Lächeln beiseite.
Das Bunte hat auch keinen Platz in Kiesers Geschäftswelt: In seinen Studios herrscht europaweit der Charme von Fabrikhallen. Eine schwarze Maschine reiht sich an die nächste, vom Gerät A2 geht es zu F3. Palmen, Sauna, Fitnessdrinks? Alles Fehlanzeige.
Die Frage, warum er die strikt sachliche Atmosphäre nicht mit ein bisschen Farbe und etwas Musik auflockert, beantwortet Kieser mit Hegels "Grundlinien zur Philosophie des Rechts". Danach begegnet sich der Mensch im Grau und in der Stille selbst. "Meine Studiowelt erträgt eben nicht jeder", sagt er, lächelt und bestellt mit seiner weichen tiefen Stimme einen zweiten Kakao.
Mit 16 Jahren entdeckte der Schreinersohn das Boxen. Darin war er so gut, dass er vorhatte, Profiboxer zu werden. Wahrscheinlich wäre ihm das mit seinem Ehrgeiz auch gelungen, hätte ihn nicht eine Rippenfellquetschung außer Gefecht gesetzt.
Ein Boxkollege empfahl ihm Hanteltraining, um die Rehabilitationszeit zu verkürzen. Ein Effekt, der sich zum Erstaunen von Arzt und Trainer tatsächlich einstellte. Die hatten ihm nämlich strikte Ruhe verordnet.
Kieser war sicher, etwas fundamental Neues entdeckt zu haben. Damit begann seine Mission: "Ich fing an, den Leuten klarzumachen, welche Vorteile ein starker Körper hat: Ein starker Rücken kennt keine Schmerzen. Das mache ich bis heute." Im Prinzip sei es mit den Muskeln wie mit dem Geist: "Beide brauchen den Widerstand, um daran zu wachsen."
1967 eröffnete er sein erstes Studio in der Schweiz. Die ersten Trainingsgeräte hatte er aus Altmetall vom Schrottplatz gebaut. Fitnessmaschinen wie heute gab es damals nicht. So würde er die von ihm entwickelten Geräte auch nie nennen. "Ich habe Kraftmaschinen. Wer Wellness will, soll ins Bett gehen, aber nicht ins Fitness-Studio. Die nützen nichts."