Rechtsmedizin: Der Tod ist ihr Alltag
Britta Gahr gewährt einen Blick hinter die Kulissen eines Berufs, den die meisten nur aus TV-Krimis kennen.
Düsseldorf. Behutsam schüttelt Dr. Britta Gahr ein Glas mit brauner Flüssigkeit, fixiert mit ihren Augen die umherschwimmenden Stückchen. Heute früh hat die Rechtsmedizinerin eine Leiche obduziert und einige Gewebeproben aus Gehirn, Lunge, Leber und Milz entnommen, die sich nun in dem Behältnis mit Formaldehyd befinden. "Die Lunge ist gut zu erkennen", sagt die 30-Jährige und deutet auf einen faserigen Fetzen, "die schwimmt immer oben." Britta Gahrs Alltag sind unnatürliche und ungeklärte Todesfälle.
Rund 600 Gläser werden jedes Jahr befüllt, ein Glas pro obduzierter Leiche. Für die mikroskopische Untersuchung werden die entnommenen Gewebeteile zunächst gefroren, um dann in winzig kleine, hauchdünne Scheibchen geschnitten zu werden.
Seit sechs Jahren ist Gahr in der Rechtsmedizin tätig - eine zügige Karriere der 30-Jährigen. Nun streift sie in Jeans und grauem Langarmshirt routiniert durch die Gänge des Düsseldorfer Instituts für Rechtsmedizin - mit einem Gruß durch jede offenstehende Zimmertür.
"Natürlich stellt man sich anfangs die Frage, ob man wirklich die nächsten 40 oder 50 Jahre mit Toten umgehen möchte, ob man es ertragen kann, ein zu Tode geprügeltes Kind zu obduzieren oder eine mit Maden übersäte alte Dame zu untersuchen", sagt sie.
Die medizinische Fachrichtung habe jedoch ihre Vorteile, so skurril das auch klingen möge. "Die Patienten, mit denen ich es täglich zu tun habe, sind bereits tot. Ich muss keinem krebskranken Kind beim Sterben zusehen oder einer Frau die schreckliche Nachricht überbringen, dass in ihrer Brust ein Tumor gefunden wurde."
Ein einziges Mal habe sie bisher einen Mann begleitet, der eine Leiche identifizieren sollte: "Es stellte sich heraus, dass der Tote sein Sohn war. Es gibt kaum etwas Schrecklicheres, als einen Menschen zusammenbrechen zu sehen, der realisiert, dass sein Kind tot ist."
Einsam sei ihr Beruf trotz der stummen Patienten nicht. Im Institut gehe es familiär zu, niemand begebe sich zum Lachen in den Keller. Eine Männerdomäne ist die Rechtsmedizin zwar immer noch, doch die Frauenquote steigt allmählich, sagt Gahr. Einen Beitrag dazu leisten möglicherweise auch TV-Formate, die die Rechtsmedizin in den Mittelpunkt stellen, wie etwa "CSI": "Sobald auf einer Party das Gesprächsthema auf meinen Job kommt, heißt es ,wow, wie im Fernsehen’", bemerkt Gahr.
Mit einem anderen Vorurteil über ihren Beruf räumt Gahr kurzerhand auf: "Hier ist der ,gruselige’ Obduktionsraum", sagt sie und stemmt eine blaue Eisentür auf. "Viele Leute denken, wir obduzieren in einem finsteren Kellergewölbe, in dem es nach Verwesung riecht."
Ganz im Gegenteil: Der Raum mit großer Fensterfront ist hell und steril. In der Luft liegt der Geruch von Desinfektionsmitteln. Zwei Metalltische stehen längs im Raum. Einer wurde erst vor Kurzem gereinigt, der Duschkopf liegt herum, auf dem Boden sind die letzten Wassertropfen noch nicht getrocknet.
Gahr hat sich mittlerweile einen weißen Kittel übergezogen. "Bei einer Obduktion sind wir Ärzte immer zu zweit. Ein Präparator holt die Leiche aus der Kühlung, nimmt die Körpermaße auf, erledigt den Schreibkram und unterstützt uns bei der Organentnahme. Meist ist auch ein Polizist anwesend, der uns die Begleitumstände des Todes erläutert", erklärt Britta Gahr. Dann kommt der Teil, den man aus den erwähnten "CSI"-Folgen kennt: Die Leiche wird zunächst äußerlich begutachtet und jede Auffälligkeit ins Diktiergerät gesprochen. Dann wird sie aufgeschnitten, und die Organe werden inspiziert.
Ihren ersten Fall auf dem Obduktionstisch wird Gahr niemals vergessen. Eine junge Mutter und ihr Kind waren von dem Lebensgefährten der Frau ermordet worden. "Der Tod ist unser Alltag, brutale Vergehen an Kindern oder Vergewaltigungen von Frauen werden aber nie selbstverständlich werden", ist sie sich sicher. "An dem Tag, an dem ich mich an so etwas gewöhne, höre ich auf." Abstumpfen ist für Rechtsmedizinerin Gahr tabu.
Besonders nah geht ihr die Arbeit, wenn der Patient sie an sich selbst, an Freunde oder Familienmitglieder erinnert. Derselbe Jahrgang, dasselbe Geburtsdatum lassen ihre Gedanken für einen Moment abschweifen. Dann ist wieder Professionalität gefragt. Auch in Fällen, in denen die Objektivität auf eine harte Probe gestellt wird: Mehrfach saß sie bereits im Gericht oder in der Gefängniszelle Sexualstraftätern gegenüber, die sich ihrer Schuld nicht bewusst waren.
Nicht immer schafft es Gahr am Abend, den Job abzulegen. Manches schleppt sie mit nach Hause. Daraus ziehe sie aber auch Schlüsse für ihr Privatleben: "Ich weiß, was passieren kann, wenn Frauen nachts allein durch den Park laufen. Deshalb lasse ich mich immer begleiten."