Senta Berger: „Hier geht es um Mitgefühl“
Senta Berger spielt in einem ZDF-Drama eine Frau, die in den 60er Jahren in einem Heim misshandelt wurde.
Berlin. Geschlagen und gedemütigt: Viele Kinder wurden früher in staatlichen oder kirchlichen Heimen systematisch misshandelt, manche der Opfer tragen bis heute an ihren seelischen Wunden. Im Drama „Und alle haben geschwiegen“ (Montag, ZDF, 20.15 Uhr) geht es um Luisa, die Anfang der 60er Jahre in einem Kinderheim durch die Hölle muss. Einziger Lichtblick für das Mädchen ist der Heimzögling Paul, mit dem sie schließlich Fluchtpläne schmiedet. Jahrzehnte später will Luisa (Senta Berger) ihr Schweigen brechen und gemeinsam mit Paul (Matthias Habich) an die Öffentlichkeit gehen.
Frau Berger, „Und alle haben geschwiegen“ beschäftigt sich mit der Misshandlung von Heimkindern in den 60er Jahren. Für Sie dagegen waren die 60er eine tolle Zeit, oder?
Senta Berger: Sie haben ganz recht, das war für mich eine sehr eindrückliche, wichtige Zeit. Ich bin damals mit 19 nach Berlin gekommen und habe angefangen, Filme zu machen und mein Leben Schritt für Schritt zu gestalten. Ich denke sehr gerne an dieses Jahrzehnt zurück, weil ich so viel erlebt habe — beruflich und privat, ich habe zu der Zeit auch meinen Mann kennengelernt. Das Fundament für meine Entwicklung ist ganz bestimmt in den Sechzigern gelegt worden.
Eine Ära des Aufbruchs und neuer Ideen, aber eben auch eine Zeit, in der Gewalt gegen Heimkinder noch weit verbreitet war.
Berger: Stimmt, aber das war ja kein typisches Phänomen der Zeit, sondern etwas, das auch in den 60er Jahren noch geschehen konnte und so alltäglich war, dass niemand hingeschaut hat. Viele der Opfer von damals haben lange Zeit geschwiegen und erst vor wenigen Jahren angefangen, von ihrem Leid zu berichten. Man darf aber nicht vergessen, dass es in den Sechzigern auch erste Schritte gab, die Missstände der sogenannten Schwarzen Pädagogik zu beseitigen. Es gab erste Wohngemeinschaften, die geflohene Heimkinder aufgenommen haben, um ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Warum ist es heute noch wichtig, auf die damaligen Missstände in den Heimen hinzuweisen?
Berger: Weil es immer wichtig ist, dass sich eine Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart beschäftigt. Wir müssen hinschauen, aber wir schauen eben nicht immer hin, denken Sie an Asylbewerber, die in Heimen abgeschoben unter den schrecklichsten Umständen leben müssen.
Kennen Sie persönlich jemanden, der damals als Heimkind gelitten hat?
Berger: Ja, aber ich sage das eigentlich ungern, weil ich nicht glaube, dass man Mitgefühl nur dann empfinden kann, wenn man dieses Thema in seiner persönlichen Umgebung beobachtet hat. Ich glaube, wir können uns das alle sehr gut vorstellen, auch wenn wir nicht indirekt oder direkt betroffen sind. Hier geht es um Mitgefühl.
Früher wurde ja nicht nur in Heimen geprügelt, Gewalt gegen Kinder galt als normal. Haben Sie selber Erfahrungen damit gemacht?
Berger: Nein, überhaupt nicht. Ich habe mal von meinen sehr jähzornigen Vater eine gefangen, das war es dann auch schon (lacht). Mein Mann, der etwas älter ist als ich, wurde dagegen in der Schule mit dem Lineal geschlagen und hat am ersten Schultag eine Ohrfeige bekommen, weil er seine Schultüte so stolz hergezeigt hat.
Und wie haben Sie Ihre beiden Söhne erzogen?
Berger: Gewaltfrei. Wir waren antiautoritäre Eltern und haben versucht, sie argumentativ zu erziehen. Das ist uns natürlich auch nicht immer geglückt (lacht). Ich habe immer versucht, zu zeigen, wie man richtig lebt und dass man Fehler macht, für die man sich entschuldigen kann.