Spezialklinik macht Brieftauben wieder fit

Das „Rennpferd des kleinen Mannes“ genießt im Ruhrgebiet eine Behandlung wie Privatpatienten.

Essen. Im Wartezimmer ist kein Stuhl mehr frei, 20 hölzerne Transportkisten stapeln sich im Gang. Tiefes Gurren mischt sich unter die Gespräche. Mehr als 100 Brieftauben und ihre stolzen Besitzer — fast ausschließlich Männer — warten an diesem Vormittag in der Taubenklinik in Essen auf den Doktor. Denn am letzten Aprilwochenende startet die Wettflugsaison — wegen des langen Winters eine Woche später als geplant. Bis dahin müssen die gefiederten Sportler wieder topfit sein.

Beherzt greift Ludger Kamp-hausen mit der linken Hand nach dem kleinen Körper der Taube. Mit der anderen Hand spreizt er ihre Flügel. „Rein äußerlich macht der Vogel einen gesunden Eindruck“, stellt der Tierarzt fest.

Der Blick mit einer kleinen Kamera ins Innere aber zeigt: Die zehn Wochen alte Taube ist von Trichomonaden befallen. Da diese Parasiten auf den gesamten Bestand des Besitzers übergehen können, muss sie unbedingt behandelt werden.

Taubenzüchter Werner Waldow aus Dorsten ist besorgt: „Das darf sich jetzt nicht ausbreiten. Bald starten die Wettbewerbe.“ Vor 34 Jahren hat er mit dem Taubensport begonnen. Heute besitzt er rund 180 Brieftauben und ist international erfolgreich. „2006 hat eine meiner Tauben in Südafrika den vierten Platz gemacht. Dafür gab es 60 000 Dollar Preisgeld“, sagt der 63-Jährige.

Auf einem Tisch aus Edelstahl werden die Vögel untersucht. Die Wände sind weiß, es riecht nach Desinfektionsmitteln. Sieben Mitarbeiter, darunter zwei Tierärzte, kümmern sich um das Wohl der Patienten. Im Sommer geht es in der Klinik des Verbands Deutscher Brieftaubenzüchter buchstäblich zu wie im Taubenschlag: „An Hochtagen untersuchen wir über 100 Tauben“, sagt Kamphausen, der die Klinik seit 2004 leitet.

Neben Kropf- und Kotabstrichen, Endoskopien und Röntgenaufnahmen stehen auch Operationen auf dem Plan. Hartnäckige Fälle werden für zwei bis vier Wochen in einem Krankenzimmer untergebracht. Täglich schaut der Chefarzt nach seinen Patienten. Eine Betreuung wie in der Privatklinik.

Unter den rund 20 Züchtern im Wartezimmer ist auch eine Frau. Sandra Freyberger ist hier, um ihre Tauben gegen Pocken impfen zu lassen. Denn sonst kann sie nicht an den kommenden Wettbewerben teilnehmen. Brieftaubenzucht ist schon lange ihr Hobby. „Als kleines Kind bin ich immer mit meinem Opa mitgegangen, wenn er seine Tauben gefüttert hat“, sagt die 34-jährige Essenerin. Frauen sind in der Taubenzucht eher die Ausnahme. Der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter schätzt ihren Anteil auf weniger als zehn Prozent.