Flut von Anträgen Strafprozess um Loveparade-Katastrophe gestartet
Düsseldorf (dpa) - Mit einer Flut von Anträgen hat der von Verjährung bedrohte Strafprozess um die Loveparade-Katastrophe begonnen. Sechs Mitarbeitern der Stadt Duisburg und vier Mitarbeitern des Veranstalters Lopavent wird fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen.
Ihnen drohen bis zu fünf Jahre Haft. Oberstaatsanwalt Uwe Mühlhoff warf den Angeklagten schwere Planungsfehler vor, die zu einer rechtswidrigen Genehmigung der Loveparade geführt hätten. „Die Veranstaltung hätte in der Form nicht genehmigt werden dürfen“, betonte Mühlhoff.
Sicherheitsrelevante Auflagen seien nicht beachtet und umgesetzt, die Einhaltung nicht kontrolliert worden. Mehrere Angeklagte hätten auch erkannt, dass die Auflagen nicht umgesetzt worden seien.
Die Durchflusskapazität des Zugangs von 82 Menschen pro Meter und Sekunde sei für die erwarteten Menschenmassen nicht ausreichend gewesen. Der Faktor entgegenkommender Menschen sei nicht beachtet worden.
Diese Mängel hätten rechtzeitig erkannt werden können und müssen. „Die Gefahr lebensgefährlicher Drucksituationen war ihnen bewusst. Es musste zwangsläufig dazu kommen“, sagte der Ankläger. Stattdessen hätten die Verantwortlichen sogar eine zusätzliche Verengung des Zugangs durch illegal errichtete Zäune hingenommen.
Ein Brandschutz- und Sicherheitskonzept habe bis kurz vor der Loveparade nicht vorgelegen. Der Baudezernent Jürgen Dressler habe sich dennoch nicht eingeschaltet. Am Veranstaltungstag sei keine Kontrolle der Auflagen vorgesehen gewesen. „Ich kann den Sinn unserer Anwesenheit nicht erkennen“, heiße es in einem Schreiben.
Deswegen sei es am Unglückstag „zu einer Menschenverdichtung auf der Rampe von mehreren 10 000 Menschen gekommen“. 21 Menschen starben durch den ungeheuren Druck. Pro Quadratmeter seien dort mindestens sieben Menschen zusammengepresst worden.
Zuvor hatten die Verteidiger die Anwesenheit potenzieller Zeugen im Saal moniert. Das Gericht unterbrach daraufhin die Verhandlung. Zwei Zuschauer verließen den Gerichtssaal, darunter die Sprecherin von Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller.
Daraufhin stellten Verteidiger Befangenheitsanträge gegen zwei Ergänzungsschöffen. So habe die Stieftochter eines Schöffen die Loveparade besucht - auch wenn sie dabei nicht Zeuge des tödlichen Gedränges geworden sei, reiche dies für eine Befangenheit aus.
Weitere Verteidiger kündigten eine umfangreiche Besetzungsrüge gegen das Gericht an. Schließlich stellte die Verteidigung den Antrag auf Nichtverlesung der Anklage. Rund 20 Nebenkläger tauchten in der Anklage gar nicht als Opfer des Unglücks auf. Mehrfach unterbrach der Vorsitzende Richter Mario Plein die Verhandlung.
Bei dem Unglück am 24. Juli 2010 waren 21 Menschen im Alter von 17 bis 38 Jahren erdrückt worden. Mindestens 652 wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Das Verfahren steht unter Zeitdruck: Ende Juli 2020 verjähren die Vorwürfe.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft dauerten mehr als dreieinhalb Jahre. 96 Polizisten vernahmen 3409 Zeugen und sichteten Videomaterial in einer Gesamtlänge von rund 1000 Stunden.
Mehr als zwei Jahre lang prüfte dann eine Kammer des Landgerichts Duisburg die Anklage, ließ sie am Ende aber nicht zur Hauptverhandlung zu. Erst eine erfolgreiche Beschwerde der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht ebnete den Weg für den Prozess.
„Die Veranstaltung hätte nie genehmigt werden dürfen. Wären noch 100 000 Besucher mehr gekommen, wäre die Katastrophe noch größer ausgefallen“, sagte der Opferanwalt und ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum.
Das Landgericht Duisburg hat die Hauptverhandlung aus Platzgründen in eine Kongresshalle nach Düsseldorf verlegt. Rund 500 Menschen finden darin Platz. Die Angeklagten werden von 32 Juristen verteidigt. Der Anklage haben sich 65 Nebenkläger angeschlossen. Sie werden von 38 Anwälten vertreten. 45 Besucher hatten sich am Freitag zu Beginn im Saal eingefunden, das Gericht hatte mit einem wesentlich größeren Andrang gerechnet.
Der große Umfang des Verfahrens spiegelt sich auch in der Menge der Akten wider: Die sogenannte Hauptakte, die beim Prozess in Griffweite der Richter steht, umfasst derzeit 117 Bände mit 53 500 Seiten. Hinzu kommen rund 1000 Ordner mit Beweismitteln und weiteren Unterlagen sowie rund 1000 Stunden Videomaterial mit den Aufnahmen von Überwachungskameras und Handys.