Studie: Kinder werden seltener Opfer von Sextätern

Berlin (dpa) - Eine neue Studie verzeichnet einen Rückgang des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen - und provoziert Empörung bei den Opfern.

Der Vorsitzende des Netzwerkes Betroffener von sexualisierter Gewalt, Norbert Denef, sagte der Nachrichtenagentur dpa, viele Opfer hätten den Missbrauch komplett verdrängt und machten deshalb bei Befragungen keine Angaben. Auch die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, sieht noch keine Entwarnung beim sexuellen Missbrauch. Sie kritisierte, dass einige Gruppen in der neuen Studie unterrepräsentiert seien.

Der Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), Christian Pfeiffer, erklärte am Dienstag in Berlin, der Missbrauch mit Körperkontakt vor dem 16. Lebensjahr gehe zurück. Er führt dies auch darauf zurück, dass die Opfer mehr öffentliche Beachtung finden und sich eher trauen, Täter anzuzeigen. Die Täter gingen ein höheres Risiko ein, vor Gericht zu landen. Eine Entwarnung gaben er und Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) aber nicht. „Jedes Kind, das Opfer wird, ist eines zu viel“, sagte Pfeiffer.

Für die repräsentative KFN-Studie wurden zwischen Januar und Mai rund 11 500 Menschen befragt. Dabei berichteten 6,4 Prozent der Frauen und 1,3 Prozent der Männer von einem Missbrauch mit Körperkontakt vor ihrem 16. Geburtstag. Verglichen mit einer KFN-Studie von 1992 seien die Zahlen gesunken, sagte Pfeiffer. Damals hatten 8,6 Prozent der Frauen und 2,8 Prozent der Männer einen Missbrauch mit Körperkontakt bis zum 16. Lebensjahr angegeben. Jedoch war die Datenbasis damals mit 3300 Befragten deutlich kleiner. Erstaunliches Ergebnis der neuen Befragung: Nur eine einzige Person gab einen Missbrauch durch einen katholischen Priester an.

Der öffentliche Eindruck war Anfang 2010 ein völlig anderer: Damals wurden immer mehr Missbrauchsfälle der Vergangenheit in der katholischen Kirche und anderen Einrichtungen bekannt. Die Politik setzte daraufhin einen Runden Tisch zur Aufarbeitung der Fälle und eine Beauftragte ein, an die sich die Opfer wenden können. Bei der Missbrauchsbeauftragten Bergmann, gingen seitdem mehr als 20 000 Anrufe, Mails und Briefe ein.

Die Autoren der neuen KFN-Studie sehen darin keinen Widerspruch: „Bei den Opfern solcher Taten, die sich 2010 oder auch 2011 gemeldet haben, handelt es sich zu einem sehr großen Anteil um über 50-Jährige, deren Opfererfahrung mehr als 35 Jahre zurückliegt.“ Die nun Befragten waren mit 16 bis 40 Jahren deutlich jünger. Pfeiffer erklärte, ältere Jahrgänge seien nicht befragt worden, weil es zu ihnen bereits Erkenntnisse aus der Studie von 1992 gibt.

Die Autoren der neuen Studie räumen aber selbst einen Knackpunkt ein: Katholiken und frühere Heimkinder sind in der neuen Befragung unterrepräsentiert. Und die Missbrauchsbeauftragte Bergmann kritisierte, psychisch Kranke und Traumatisierte seien gar nicht befragt worden. Aus ihrer Arbeit wisse sie aber, dass diese Gruppen besonders häufig von Missbrauch betroffen seien.

Die Autoren sehen die Abnahme der Missbrauchsfälle auch bestätigt, wenn die verschiedenen Altersgruppen betrachtet werden: So hätten die heute befragten 31 bis 40 Jahre alten Frauen zu acht Prozent einem Missbrauch mit Körperkontakt bis zum 16. Geburtstag erlitten. Bei den 21 bis 30 Jahre alten Frauen seien es 6,4 Prozent, und bei den 16- bis 20-Jährigen 2,4 Prozent. Dies habe auch etwas mit der gestiegenen Anzeigebereitschaft der Opfer zu tun: „Während in den 1980er Jahren im Durchschnitt nur jeder zwölfte Täter mit einem Strafverfahren rechnen musste, gilt das heute für etwa jeden dritten.“ Das habe offenbar eine abschreckende Wirkung auf die Täter.

Als häufigste Täter wurden Onkel, Stiefväter oder Väter genannt. Auch Nachbarn und Freunde der Eltern gehören der Studie zufolge außergewöhnlich oft zum Täterkreis. Der Rückgang sexuellen Missbrauchs betreffe vor allem die Taten in Familien. „Das Risiko, von unbekannten Tätern missbraucht zu werden, ist über die letzten drei Jahrzehnte weitgehend konstant geblieben“, heißt es.