The Dear Hunter: In allen Farben schillernd
Berlin (dpa) - Was für ein gewaltiges Projekt der hierzulande noch völlig unbekannten US-Indierock-Band The Dear Hunter: Neun Mini-Alben mit je vier Liedern, insgesamt also 36 Titel zwischen drei und fünf Minuten Länge, fast zweieinhalb Stunden Musik.
Zusammengehalten durch ein anspruchsvolles Thema: das Farbspektrum zwischen Schwarz und Weiß in unterschiedlichsten Songs, Sounds und Stimmungen abzubilden.
Zu jeder der neun musikalisch umgesetzten Farben von „The Color Spectrum - Complete Collection“ (Triple Crown Records/Import) ließ sich der Band-Boss und Multi-Instrumentalist Casey Crescenzo etwas Interessantes, Erstaunliches, bisweilen auch Geniales einfallen. Das fast aufdringlich an den Progressive-Rock der 70er Jahre erinnernde Konzept hätte in einem furchtbaren Kuddelmuddel enden können - aber nicht bei The Dear Hunter.
Die Band aus dem US-Bundesstaat Rhode Island - nicht zu verwechseln mit der US-Indie-Truppe Deerhunter - existiert bereits seit 2005. Von vornherein ging es Casey und seinem Bruder Nick (Schlagzeug) ums Große und Erhabene. So legten sie gleich mit der auf vier Alben angelegten Geschichte eines Mannes vom Geburt bis zum Tod mächtig los: Act I bis III erschienen zwischen 2006 und 2009, ehe sich die Crescenzos dem Thema „Color Spectrum“ zuwandten.
Grob vereinfachend lassen sich die Song-Farben so umschreiben: „Black“: düsterster Prog-Metal. „Red“: brettharter Grunge-Rock. „Orange“: psychedelisch Seventies-Bluesrock. „Yellow“: sonnendurchfluteter Surf- und Latin-Pop. „Green“: sanfter Klavier/Gitarren-Folk. „Blue“: tieftraurige Soul-Balladen. „Indigo“: sphärischer, an Radiohead erinnernder Elektro-Pop. „Violet“: melodische, leicht schräge oder jazzige Piano-Songs. „White“: hymnisch-optimistischer Rock mit großer Geste und Streicher-Bombast.
Jeder Hörer von „The Color Spectrum“ wird in einem solchen Gemischtwarenladen unterschiedliche Vorlieben entwickeln - und doch ist dieses Opus magnum aus drei CDs und einer DVD kein Fall für die Skip-Taste. Dazu ist die Musik von Lied 1 bis 36 zu perfekt komponiert und arrangiert. Dies ist keine billige Wohnzimmer-Produktion einer kleinen Indie-Band, dies ist riesengroßer Poprock für ein breites Publikum.
Gewissermaßen als roter Faden dient Casey Crescenzos höchst variable, melodische Stimme - zwischen wüstem Gebrüll und zartem Gewisper hat er alles im Repertoire, je nachdem was der Song erfordert. Ein fantastischer Sänger, der abwechselnd an große Rock-Shouter, an sensible Folk-Barden, an Chris Cornell, Peter Gabriel oder Thom Yorke erinnert.
„The Color Spectrum - Complete Collection“ erschien als wunderschön aufgemachte Box im November in den USA, außerdem gibt es eine kompakte Version mit zwölf Songs auf einer CD. Beide Angebote sind hierzulande derzeit nur über Import und im Mailorder-Versandhandel erhältlich. Man sollte den Aufwand nicht scheuen - sonst verpasst man eines der großen Rockmusik-Abenteuer dieses Jahres. So herrlich farbenfroh schillernd wie ein Silvester-Feuerwerk.