Titanic-Zentrum: Belfasts neuer, alter Stolz
Am Geburtsort der „Titanic“ wird der Luxusliner, der vor 100 Jahren sank, im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar. Ein Besuch vor Ort.
Düsseldorf. Sie war der Stolz der Stadt, ein schillernder Kraftprotz, so hoch, dass die Häuser neben ihrer Werften-Wiege auf Miniaturgröße schrumpften. Acht Arbeiter-Leben forderte der Bau der „Titanic“, weit über Tausend Passagiere ertranken nur wenige Tage, nachdem sie 1912 vom Stapel gelaufen war. Der Untergang des Luxusliners galt Belfastern lange als Makel. Heute entdecken sie in der Tragödie ihren alten Stolz — und eine sprudelnde Geldquelle. Denn in der Werft steht ein neuer Kraftprotz: Titanic Belfast.
„Nennen Sie es bloß nicht Museum“, seufzt Pressesprecher Mark Sterling ziemlich angestrengt. „Wir stellen hier ja keine Überbleibsel der Titanic aus. Sie ist ein Friedhof, und alle Gegenstände haben wir in ihrem Grab im Meer belassen.“ Fein, bei der Vorstellung bekommt der Besucher gleich feuchte Augen und steht doch erst im Foyer von — ja, von was denn nun?
Der markante Bau, Belfasts größter Coup seit dem Stapellauf des legendären Luxusliners vor einem Jahrhundert, lässt sich wohl am besten als „Erfahrung“ bezeichnen. Wie es sich einst angefühlt haben muss, die gigantischen Bleche zu vernieten, über den Teppich der edlen Kabinen zu schreiten oder die Hand auf das Holz der Rettungsboote zu legen, wird hier buchstäblich begreifbar.
Für 130 Millionen Euro haben die Nordiren die moderne Landmarke genau dort errichtet, wo die „Titanic“ 1912 geboren wurde. Im Osten, zwischen zwei kanariengelben Hafenkränen des Schiffsbauers Harland and Wolff, erhebt sich die markante Silhouette des Baus über Belfast. Inspiriert hat den Architekten Paul Crowe ein altes Schwarz-Weiß-Foto, auf dem die „Titanic“ mit ihren zwei Schwesterschiffen im Dock stand — maritime Wolkenkratzer, die das Heer ihrer 3000 Arbeiter auf Ameisengröße reduzierten. Ihnen hat Crowe ein Denkmal gesetzt, indem er die Höhe der drei Schiffsbuge kopierte.
Neun Galerien warten im Innern. Besucher laufen auf Projektionen der alten Baupläne, so, wie Ingenieure die Kreidezeichnungen der „Titanic“ einst auf dem Boden vorbereitet haben. Durch ein altes Eisentor von Harland and Wolff schreiten sie in das Belfast des frühen 20. Jahrhunderts, wo 11 000 Männer in den Docks schufteten. Per Korb-Aufzug geht es hinab in die Baustelle, die die „Titanic“ war — mit allen Geräuschen, der Hitze und dem Geruch, die dazu gehörten.
Details des gigantischen Projekts werden gezeigt, konsequent und bis zum Ende: Ein dunkler Raum, in dem nur noch Sterne funkeln und SOS-Morse-Signale verklingen, lässt die letzten Sekunden nachempfinden. Tief unten schließlich blickt der Besucher durch einen Glasboden auf das Wrack: Eine Überblendung Tausender Unterwasser-Fotografien gibt den Blick frei auf Schuhe im schlammigen Meeresboden, auf Weinflaschen, die Badewanne des Kapitäns und ein von Seepocken und Rostzapfen überzogenes Holzdeck, wo vermögende Passagiere hätten plaudern sollen wie in einem Pariser Straßencafé.
Das Schicksal der „Titanic“ beschert Belfast einen Besucheransturm: Mit mehr als 100 000 vorbestellten Karten ging das neue Haus an den Start. Geschäftsführer Tim Husbands hofft, so viele Touristen anzulocken wie die Tate Modern oder Disneyland. Selbst in Indien, China und Australien sei die Resonanz beachtlich. „Nordirland hat nichts, was man für Gäste so gut vermarkten kann wie die Titanic.“ Ihr Erbe soll das vom Terror angegriffene touristische Image aufpolieren.
In die Euphorie mischen sich nur wenige kritische Stimmen. Makaber finden es manche, dass ausgerechnet eine Tragödie für Belfast zum Goldesel werden soll. Dass es im Museumsshop Titanic-Badewannenstöpsel gibt, garantiert unsinkbar. Dass die Titanic-Chips mit Seesalz gewürzt sind.
Vor allem William Neill, Professor für Städteplanung, äußert sich vernichtend: „Zum 100-jährigen Gedenken ein Popkonzert — das wirft Fragen nach Würde und Geschmack auf.“ Die Presse vor Ort zitiert außerdem eine Umfrage, nach der sich 62 Prozent der Belfaster den Ticketpreis von 18 Euro nicht leisten können. Die Kritik dürfte lauter werden, wenn die jährlich 290 000 Gäste, die die Attraktion braucht, um rentabel zu sein, ausbleiben.
Zur Eröffnung stehen Japaner, Italiener und Deutsche erst einmal Schlange. Wie Ingrid Pilat aus Ulm: „Die Architektur ist der Wahnsinn.“
Auch die Belfaster sind begeistert: Viele betrachten das Haus als ihr stadtgeschichtliches Museum, hat doch fast jeder Vorfahren, die in den Docks gearbeitet haben.
Von Katastrophen-Tourismus will man auch weiter unten im Hafen, im Trockendock des einstigen Giganten, nichts wissen. Helen Adams, die dort auf- und zuschließt, überlegt: „Die Belfaster waren vielleicht zu stolz auf die Titanic. Sie haben geglaubt, dass sie nie sinkt. Die Arroganz hat man bereut.“
Dass die Stadt 100 Jahre nach dem Untergang zu ihrem alten Selbstbewusstsein zurückfindet, wird in Adams’ Augen jedoch höchste Zeit. Denn: „Der Titanic ging es gut, als sie Belfast verließ.“