Tödliche Klassenfahrt in die Türkei: Alkohol-Mafia vor Gericht
Istanbul (dpa). Zehn Monate nach der tödlichen Vergiftung vondrei deutschen Urlaubern in der Türkei kommen die mutmaßlichenAlkohol-Panscher vor den Richter. In Antalya müssen sich von Dienstagan Mitglieder einer Schwarzhändler-Bande sowie führende Mitarbeiter desHotels Anatolia Beach in Kemer wegen Totschlags und versuchtenTotschlags verantworten.
Inzwischen wurde bekannt, dass die Polizei dieSchwarzhändler schon mehrfach ertappt hatte. Bei einem konsequenterenVorgehen der türkischen Behörden hätte der Tod der drei Männer ausLübeck wohl verhindert werden können.
Die türkische Riviera ist bei vielen Deutschen beliebt. DieGastfreundschaft der Türken verbunden mit sehr günstigen Angebotenziehen junge Leuten aus ganz Europa an die Mittelmeerküste. „Urlaubohne Nebenkosten“, „All-Inclusive-Urlaub in der Türkei heißt günstigFerien machen“ oder „Rundum versorgt“ lauten die Werbesprüche.
Beimanchen Komplett-Angeboten, bei denen es zudem noch Alkohol ohne Limitgeben soll, reicht der Griff zum Taschenrechner um zu merken, dass hieretwas nicht stimmen kann. Immer mehr für immer weniger Geld - das hatauch die Tourismus-Branche erheblich unter Druck gesetzt.
Das türkische Unternehmen Germiyan Alkollü Icecekler verkaufte denHoteliers und Gastwirten billigen Fusel, damit sie ihn an die Touristenausschenken können. Schon im Jahr 2007 muss sich der Mitinhaber CengizEmmez, der nun in Antalya als einer von 13 Angeklagten vor Gerichtsteht, wegen eines Vergiftungsfalls verantworten. Bei ihm und seinemBruder seien 1488 Flaschen Whisky und 1248 Flaschen Cognac sowie leereFlaschen und Rohmaterialien beschlagnahmt worden, berichten türkischeMedien.
Der Firma wird die Handelslizenz für Alkohol entzogen. Die BrüderEmmez, so Zeitungen, hätten das Unternehmen dann an ihre Ehefrauenüberschrieben. Die Frauen erhielten eine neue Lizenz. Das Spiel gingmunter weiter. Nur etwa einen Monat vor dem Tod der Lübecker habe diePolizei beobachtet, wie die Brüder in einem Wagen mit dem Kennzeichen„34 RT 651“ insgesamt 684 gefälschte Schnapsflaschen an ein Hotelauslieferten. Diese Flaschen wurden beschlagnahmt.
Doch blieben andere Getränke im Verkehr, so die Ermittlungen. Auch imHotel Anatolia Beach, wo im März 2009 die Lübecker Berufsschülergruppeauf Klassenfahrt abstieg. Ein 21-jähriger Deutscher starb noch in derTürkei an einer Methanolvergiftung. Seine 19 und 17 Jahre altenKlassenkameraden wurden nach Deutschland gebracht und lagen insgesamtzwölf Tage lang im Koma, bevor Ärzte in der Lübecker Uniklinik denHirntod der jungen Männer feststellten.
In den Tagen nach dem tödlichen Zwischenfall begann das Hotel einVerwirrspiel. Der Schülergruppe wurde vorgeworfen, sich sinnlosbetrunken und dabei womöglich auch giftiges Parfüm zu sich genommen zuhaben. Auch über illegale Drogen wurde berichtet. Dann hieß es, dergiftige Alkohol sei irgendwo in der Stadt beschafft worden. Reflexartigvermuteten Teile der türkischen Presse eine deutsche Kampagne.
Voreilig sprach ein Krankenhausdirektor in Antalya das Hotel von Schuldfrei. „Der Tote wurde mit mehr als sieben Promille eingeliefert. Beiden anderen war es weniger“, sagte Irfan Erdogan am 30. März 2009. „Daszeigt uns, dass hier nicht gepanschter Alkohol das Problem war.“
Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) obduzierte denLeichnam und stellte mit zwei Promille das Zehnfache der tödlichenDosis an giftigem Methanol fest. Der Trinkalkohol Ethanol konntehingegen nicht nachgewiesen werden. Bei einer frühzeitigen Diagnosehätte dem Schüler wohl noch geholfen werden können, erläuterteProfessor Klaus Püschel, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin amUKE. Nun begannen auch in der Türkei demonstrativ Razzien und derEinsatz neuer Fahndungsgruppen gegen den Schwarzhandel mit Alkohol.
„Die Frage ist, ob die Schüler hätten gerettet werden können“, sagt derLübecker Rechtsanwalt Frank-Eckhard Brand, der zusammen mit einertürkischen Anwältin die Familien der Opfer vertritt. „Es wurdengezielte Falschinformationen gegeben“, kritisiert er. AuchSchadensersatzansprüche würden nun geprüft.