Urteil: Lebenslang für Gülsüms Vater
Für den „Ehrenmord“ an der 20-jährigen Kurdin müssen auch ihr Bruder und ein Helfer in Haft. Richter spricht von „grauenhafter Tat“.
Kleve. Eine Stunde vor ihrem Tod telefonierte Gülsüm S. mit ihrer Freundin Saskia. Sie sprachen über eine Online-Bewerbung für ein Schnellrestaurant, als Gülsüms Drillingsbruder Davut sie drängte, schnell und sofort mit ihm zu kommen.
Sie legte auf, das letzte, was Saskia noch hörte, war, dass sie sich noch Schuhe anziehen müsse. Zwei Tage später, am 4. März 2009, fand ein Mann ihre völlig entstellte Leiche an einem verlassenen Wirtschaftsweg bei Rees.
Kein Knochen in ihrem Gesicht und Schädel war noch ganz, die Augenhöhlen zertrümmert. Ihre Mörder hatten das Bild der bildschönen, modernen Frau ausgelöscht.
Gülsüms Vater, ihr Bruder und ein Freund der Familie sind am Dienstag vom Klever Landgericht des Mordes an der 20-Jährigen schuldig gesprochen worden. Vater Yusuf bekam lebenslang. Davut wurde nach Jugendstrafrecht zu neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Helfer Miro M., der für sieben Jahre und sechs Monate ins Gefängnis muss, schimpfte, als Richter Christian Henckel das Urteil verlaß.
Die Kammer fällte ihr Urteil nach schwieriger Beweisaufnahme schließlich auf der Basis von Indizien und des Geständnisses von Davut. Dies hatte er zwar widerrufen, doch seine damaligen Angaben zum Tathergang ließen keinen Zweifel, dass er dieses Wissen nur als Täter erworben haben konnte. Der Vater des Opfers und Miro stritten jegliche Beteiligung ab.
Davut hatte seine Schwester am Abend des 2. März unter dem Vorwand, sein Kumpel Miro M. habe ihr verschwundenes Fahrrad gefunden, an den mit Pappeln und Kopfweiden gesäumten Weg gelockt. Während sie mit ihrer Taschenlampe die Böschung absuchte, legte ihr Davut ein Seil oder eine Wäscheleine um den Hals und würgte sie.
Als sie bewusstlos war, schlugen Davut und Miro ihr mit voller Wucht mit herumliegenden Ästen mitten in das Gesicht und zerstörten es bis zur Unkenntlichkeit. Solche Verletzungen sähe man sonst nur bei Menschen, die von Zügen überfahren worden seien, gab ein Sachverständiger an.
"Sie war 20 Jahre alt, als sie starb, war eine junge und lebensbejahende Frau", sagt Richter Henckel. Sie habe sterben müssen, weil sie zu westlich lebte. Ihr patriarchalischer Vater und ihr Bruder hatten sich in ihrer Ehre verletzt gesehen, als heraus kam, dass die 20-Jährige nicht nur keine Jungfrau mehr war, sondern auch eine Abtreibung hatte vornehmen lassen.
"Yusuf und Davut haben die Tat gewollt, geplant und verwirklicht", war die Kammer überzeugt. "Was bleibt, ist die verachtenswerte Berufung auf Ehre." Was Miro M. zu der Tat bewogen hat, bleibt offen. "Vielleicht war es die Entlohnung - 100 Euro", sagte Richter Henckel. Am Ende blieb er ratlos zurück: "Die Frage ist, wie Gesellschaft und Justiz Schutz bieten sollen, wenn sich jemand der Gesellschaft und der Justiz nicht öffnet."