Verschollener Soldat taucht auf: Kriegsende mit Verspätung
Der vermisste sowjetische Soldat Bachretdin Chakimow taucht 33 Jahre später in Afghanistan wieder auf.
Kabul. Es klingt wie ein Wunder: Nach fast 33 Jahren findet ein russischer Suchdienst in Afghanistan den verschollenen Sowjetsoldaten Bachretdin Chakimow lebend. Doch für Scheich Abdullah, wie sich Chakimow mittlerweile nennt, ist die Begegnung mit der Vergangenheit zunächst eher wie ein Alptraum.
„Er lebt in seiner eigenen Welt“, erzählt Alexander Lawrentjew, der den Mittfünfziger aufgespürt hat. Seit Jahren sucht Lawrentjew mit seinen Mitarbeitern in Afghanistan nach Soldaten, von denen seit dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 jedes Lebenszeichen fehlt. Knapp 270 Namen stehen noch auf der Liste.
Seine kommunistische Uniform mit Hammer und Sichel hat Chakimow längst abgelegt. Nun arbeitet der Mann, der aus Usbekistan in Zentralasien stammt, als Kräuterarzt in abgelegenen Dörfern. Als er Lawrentjew in der westlichen Provinz Herat trifft, wird Chakimow von Gefühlen übermannt. Kaum bringt er ein Wort über die Lippen. „Vielen Dank“ sagt er leise in gebrochenem Russisch. Lawrentjew vom Komitee für die Belange im Ausland kämpfender Soldaten durchkämmt das zerklüftete Land regelmäßig nach Vermissten. Gezielt fragt er Dorfälteste nach Hinweisen auf mögliche Ex-Soldaten, mühsam geht er jeder Spur nach.
Chakimows Geschichte mutet aber auch für den erfahrenen Lawrentjew geradezu fantastisch an. Im September 1980 wird der junge Soldat schwer verwundet und fällt Einheimischen in die Hände. „Er hat riesiges Glück gehabt“, meint Lawrentjew. Denn meist töten die Kämpfer ihre Gefangenen kurzerhand. Chakimow aber wird vom Dorfältesten geheilt.
Dem Soldaten kommt womöglich seine Herkunft zugute. Etwa ein Zehntel der Einwohner in Afghanistan ist usbekischer Abstammung. Zu einer Zeit, zu der jeder europäisch aussehende Mann gleich als Todfeind gilt, ist das ein großer Vorteil und hilft, in der Masse unterzutauchen.
Chakimow sei kein Deserteur, sagt Lawrentjew. Einfach ist das Leben in der Fremde nicht für den jungen Mann — er muss zunächst „Sklavenarbeit“ verrichten, wie der Vizechef des Suchdienstes schildert. Nur langsam steigt er in der Hierarchie auf, dann bildet ihn der Älteste zum Kräuterarzt aus. Das jahrelange Beisammensein mit den Einheimischen habe wie eine Gehirnwäsche gewirkt.
Deshalb habe Chakimow nie versucht, Kontakt mit der Heimat aufzunehmen. Dass er sein Leben als Scheich Abdullah gegen eine ungewisse Zukunft in Zentralasien tauscht, kann sich Lawrentjew nicht vorstellen: „Er würde sich vermutlich nicht zurechtfinden.“ Er weiß von Soldaten, die sich nach Jahren in der afghanischen Abgeschiedenheit nicht mehr integrieren können. „Sie fühlen sich nirgendwo dazugehörig.“