Volkszählung in den Meeren

Die Forscher haben rund 230 000 verschiedene Arten in den Ozeanen erfasst.

San Francisco. Nirgendwo sonst leben so viele verschiedene Meerestiere wie rings um Japan und Australien. Mit 33 000 verschiedenen Arten sind die beiden Seegebiete die bevölkerungsreichsten unserer Erde. Das haben Forscher bei der bislang größten Volkszählung in den Meeren herausgefunden. Zwar sollen die Ergebnisse des "Census of Marine Life" erst im Herbst präsentiert werden, doch schon jetzt haben die Wissenschaftler viele spannende Erkenntnisse gewonnen.

So wurden in den Tiefen der Ozeane bisher unbekannte Arten entdeckt, darunter unter anderem eine Urzeit-Krake, filigrane Meeresschnecken, riesige Einzeller und besonders hitzeresistente Muscheln. Überraschend ist auch, dass Fische zwar die bekanntesten, aber bei weitem nicht die häufigsten Lebewesen in den Meeren sind. Diese Rolle fällt den Krebstieren zu: Shrimps, Hummer, Krabben, Krill, Seepocken und andere Vertreter kommen auf 19 Prozent des Arteninventars. Weichtiere wie Tintenfische, Muscheln und Schnecken stellen 17 Prozent, und erst dann kommen mit zwölf Prozent die Fische.

Anfang Oktober wird der Katalog bekannter Arten voraussichtlich 230 000 Einträge umfassen - vom Einzeller bis zum Blauwal. Die Zahl der Fische wird sich vermutlich bei rund 21 800 einpendeln, heißt es bei den Wissenschaftlern. Das ist noch vergleichsweise vorsichtig formuliert: Auf jede bekannte Tierart könnten noch vier weitere bisher unbekannte kommen. Das gilt indes weniger für die gut erforschten Wale oder Haie als viel mehr für die kaum zu erfassende Zahl kleiner Schnecken, Würmer, Muscheln oder Einzeller. Gänzlich unübersichtlich wird es, wenn Algen, Bakterien oder Viren hinzukommen.

In den Ozeanen leben vermutlich sogar rund zehn Millionen verschiedene Arten, sagt Professor Pedro Martínez, Direktor des Forschungsinstituts Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven. Diese Zahl sei eine Hochrechnung, aber vor allem in der Tiefsee tue sich eine riesige Vielfalt auf. Noch in sieben Kilometern Tiefe etwa finden sich Fische - bei einem Druck, der viele U-Boote zerquetschen würde wie eine Dampfwalze eine Coladose.

Dem scheinbaren Überfluss zum Trotz: "Die See ist in Schwierigkeiten", sagt Nancy Knowlton von der Smithonian Institution in Washington, Leiterin der Arbeitsgruppe für die Riffe. "Ihre Bewohner haben in keinem nationalen oder internationalen Gremium Sitz oder Stimme, aber sie leiden und müssen gehört werden."

Die größte Bedrohung geht von der Überfischung der Meere aus, die seit vielen Jahren im Detail bekannt ist und von Warnungen begleitet wird - oft ohne Konsequenz. Der Verlust der Lebensräume, einwandernde Arten, Verschmutzung, Überdüngung, Sauerstoffmangel, Müll oder die Versauerung der Meere sind weitere Probleme.

Die Überfischung entfernt nicht allein Fische aus dem System, sondern ändert es damit. Wenn über Jahrzehnte Fischschwärme weggefangen werden, wachsen Algen massenhaft. Das wiederum hilft Quallen, die sich vermehren und dann alle möglichen weiteren Meeresorganismen fressen. Damit ist ein ursprünglich stabiles, vielfältiges Zusammenspiel der Arten zerstört. Auch der Mensch hat dann nichts mehr zu fischen außer Quallen, die keinen Nährwert besitzen.