Wacken im Festival-Fieber
Wacken (dpa) - Das Ortsschild ist aus Angst vor Dieben bereits abgeschraubt. Stattdessen hängt ein riesiges schwarzes Transparent über der Landstraße.
„Welcome to Heavy Metal Town!“ Im schleswig-holsteinischen 1800-Einwohner-Dorf Wacken herrscht wieder Ausnahmezustand. Wo sonst friedlich Kühe grasen, werden in den nächsten Tagen 75 000 Headbanger feiern. Vom 4. bis 6. August steigt in der norddeutschen Provinz das laut Veranstalter weltgrößte Heavy-Metal-Festival, das Wacken Open Air (W:O:A). Offizieller Start ist am Donnerstag, doch zahlreiche Fans sind bereits im Anmarsch.
„Das rollt ordentlich hier“, sagt Renate Schneider von der Dorf-Bäckerei. Die ersten schwarzgekleideten Kunden hätten bereits in der Früh um kurz vor sechs nach Kaffee gefragt. „Engländer, Spanier, Mexikaner, aus aller Welt kommen die hierher.“ Frau Schneider findet das Spektakel immer wieder interessant: „Da passiert wenigstens was.“
„Heute ist der Bär los“, sagt auch Karl-Heinz Buttmann und hebt die Hand zum Metal-Gruß. Der 74-Jährige sitzt gemütlich an der Hauptstraße und beobachtet die Autos, die teils schwarzgemalt und mit Fahnen geschmückt, in Richtung Campingplatz rollen. „Es ist einfach schön zu schauen, wie die aussehen und wie nett die zu uns sind.“ Gleich muss der Rentner aber noch los, das Festival-Bändchen holen. Denn jeder Einwohner aus Wacken und den umliegenden Dörfern bekommt an einem Tag freien Eintritt für das W:O:A.
„Wir wollen keinen Geheimcharakter und allen zeigen, was wir hier machen“, sagt Festivalgründer Thomas Jensen. 1990 rief er das Festival gemeinsam mit seinem Kumpel Holger Hübner „aus einer Bierlaune heraus“ in Leben. „Damals kamen 800 Gäste. Ich spielte mit meiner Band, zapfte nebenbei Bier und konnte die Einnahmen noch in meine Hosentasche stecken.“ So viel habe sich seitdem gar nicht geändert, „ist halt ein bisschen größer geworden“, sagt er mit einem Grinsen. „Inzwischen werden 200 Hektar Wiese zur Metal-Stadt umfunktioniert, aber danach kommen wieder die Kühe drauf.“
Headliner in diesem Jahr ist der frühere Black-Sabbath-Sänger Ozzy Osbourne. „Ozzy ist ein Highlight, schließlich sind Black Sabbath ein heißer Kandidat auf den Titel der Erfinder des Heavy Metal.“ Nicht verpassen dürfe man auch den Auftritt von Judas Priest. Die 1969 gegründete Band spielt in Wacken ihr allerletztes Open-Air in Deutschland. Neben den 120 Bands wird aber noch mehr geboten - vom Wet-T-Shirt-Contest über Wrestling bis zum Wikingerdorf. Die 75 000 Tickets für 130 Euro waren bereits im Februar ausverkauft.
Den offiziellen Startschuss gibt am Donnerstag Doro Pesch mit ihrer Wacken-Hymne „We Are The Metalheads“, zusammen mit der Band Skyline. „Wacken ist einfach einmalig. Ich bekomme schon Lampenfieber, wenn ich die Massen sehe“, erklärt die 47-Jährige, die zum neunten Mal beim W:O:A auf der Bühne steht. Besonders schön und familiär sei das Zusammenspiel mit den Einwohnern: „Die sind offen, tolerant und packen mit an.“ Der besondere Charakter des Festivals habe sich weltweit rumgesprochen, sagt die Metal-Queen, die gerade in Südamerika auf Tour war: „Überall haben Fans mir gesagt: "Einmal im Leben nach Wacken. Das wär was." Die sparen schon seit Jahren. Das ist für viele ein Lebenstraum.“
Einen Lebenstraum erfüllt hat sich Dario aus Buenos Aires. Der fröhliche Argentinier ist gerade in Wacken angekommen und neue Freunde hat er auch schon gefunden. Gemeinsam mit Essy aus Lettland und einem Metal-Fan aus Marburg nimmt er einen ersten Drink vor dem Supermarkt. „Zwölf Stunden hat meine Anreise gedauert“, sagt Essy lachend, „und ich habe nicht einmal ein Zelt dabei“. Aber das sei auch nicht so wichtig. Ihr gehe es darum, gute Musik zu hören und nette Leute kennenzulernen.
Das Sortiment im Supermarkt ist ganz auf die Bedürfnisse der Headbanger zugeschnitten. „Schnaps, Dosenproviant und Grillfleisch gehen besonders gut“, sagt Verkäuferin Annette, deren Arme mit Tätowierungen verziert sind. Die 43-Jährige ist frischgebackene Oma und selbst großer W:O:A-Fan. „Ich bin von Anfang an dabei.“ Dieses Jahr wolle sie vor allem Ozzy und natürlich die Italiener sehen. Die Italiener? „Das sind Freunde von uns - Metal-Fans, die wir hier vor neun Jahren trafen und jetzt machen wir jedes Jahr Urlaub bei ihnen.“
Vorm Supermarkt haben sich Jördis (12) und Jule (10) mit ihrem Bollerwagen in Stellung gebracht. Die beiden Mädchen transportieren Bierkisten zum Zeltplatz - Fünf Euro kostet eine Fahrt. „Das Festival ist total cool“, sagen die beiden. „Sonst ist es ja eher verschlafen hier.“ Und zudem ein lukratives Geschäft, meint Jördis. „Im letzten Jahr haben mein Bruder und ich 700 Euro verdient.“
Sängerin Doro versucht jedes Jahr in Wacken dabei zu sein, ob auf der Bühne oder als Fan. Ihr Kalender bleibe Anfang August immer frei. Denn wie sie sagt: „Wenn man glückliche Menschen sehen will, muss man nach Wacken gehen. Selbst wenn man kein Heavy-Metal-Fan ist.“