Wegen Geldnot ins Gefängnis
Jedes Jahr werden in NRW 5000 Menschen wegen kleiner Vergehen eingesperrt.
Düsseldorf/Wuppertal. Einen gefährlichen Eindruck macht Jan van Haart (Name geändert, die Red.) wirklich nicht. Der schlaksige 31-Jährige sitzt in seiner zu großen Jacke im Besucherraum der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel, erzählt freudig, dass sein Vater ihn am Donnerstag besuchen kommt. Und weshalb er im Gefängnis gelandet ist: Er habe Feuerwerkskörper illegal dabei gehabt und sei ein paar Mal schwarzgefahren.
Wie oft er die Bahn geprellt hat? „So zwölf bis 14 Mal.“ Manchmal hatte er keine Lust auf den Ticketautomaten, meistens fehlte ihm aber das Geld. Die Quittung: Acht Monate offener Vollzug.
Van Haart ist einer von 5000 Häftlingen in Nordrhein-Westfalen, die jedes Jahr wegen kleinerer Delikte hinter Gittern landen. Von den Gerichten ist das keineswegs vorgesehen: Verurteilt wurden die Straftäter zu Geldstrafen. Weil sie die aber nicht zahlen konnten, wurde eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Van Haart sollte eine Geldstrafe von 4500 Euro zahlen.
Wieso hat er die Strafe nicht gezahlt und ist im Gefängnis gelandet? „Ich war viel unterwegs, habe mich nie um die Post gekümmert.“ Er habe von der Ladung zum Haftantritt, die in seinem Briefkasten lag, nichts mitbekommen. Irgendwann griffen Polizeibeamte ihn zufällig bei einer Routinekontrolle auf: „Ich dachte mir nur: Hätte ich mich mal um meine Post gekümmert.“
„Es gibt nichts Unsinnigeres als die Vollstreckung solcher Strafen im Justizvollzug“, kritisiert Julius Wandelt, Anstaltsleiter der JVA Castrop-Rauxel. Für deutlich besser hält er Alternativen wie das Ableisten gemeinnütziger Arbeit — in Tierparks, Altenheimen oder anderen Einrichtungen. „Der Vorteil: Das können die in Freiheit erledigen“, sagt Wandelt. Dennoch kommt es dazu nicht oft. NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) glaubt, das liege auch an zu wenig Angeboten und Stellen.
Soziale Einrichtungen in NRW sehen das anders: „Dass es zu wenig freie Stellen gibt, stimmt nicht“, sagt Thomas Großhauser von der Fachstelle zur Vermittlung gemeinnütziger Arbeit in Münster. Das Problem sei vielmehr, dass Straffällige nicht ausreichend von der Justiz informiert würden.
Petra Söder, die im Wichernhaus Wuppertal Straffälligen hilft, bestätigt: „Für das bergische Land haben wir einen Riesenpool an Einsatzstellen.“ Wichtig sei es, die Straffälligen passend zu vermitteln. Dafür sind Sozialarbeiter nötig, die sich der mitunter schwierigen Klienten annehmen, sie informieren und begleiten.
In einem Punkt sind sich Justizministerium, Vollzugsbeamte und soziale Einrichtungen einig: Nicht kriminelle Energie ist das Problem, sondern die soziale und finanziell oft desolate Lage der Leute. Briefe würden nicht oder nicht richtig gelesen, die Situation wachse den schlecht organisierten Betroffenen über den Kopf. „Für eine Geldstrafe sind das schlechte Voraussetzungen“, sagt Peter Marchlewski, Sprecher des Düsseldorfer Justizministeriums. Er fordert: „Die Gerichte müssten direkt gemeinnützige Arbeit verhängen können.“ Das sei rechtlich bislang nicht möglich.
Andere Häftlinge belächeln die „Geldstrafler“ als „arme Schlucker“, erzählt van Haart. „Die Lange-Einsitzenden nennen unsere Wohnbereiche die Bronx“, berichtet er. Von den „Geldstraflern“ seien „draußen“ viele arbeitslos, ohne Dach über dem Kopf, hätten Drogen- und Alkoholprobleme.
Ein JVA-Aufenthalt sei für manche Häftlinge nicht wesentlich unattraktiver als das Leben am Rande der Gesellschaft. „Manche haben die Einstellung: Ich sitz’ lieber ein paar Tage ab, als dass ich die Kohle loswerde“, sagt van Haart.