Wenn die eigenen Kinder sterben: „Eine Grundtraurigkeit bleibt“
Der Advent gilt gerade in Familien als Zeit der Vorfreude. Eltern, deren Kinder gestorben sind, treffen sich stattdessen zum Gedenken.
Wermelskirchen. Der Herrnhuter Stern wird in vielen Familien zur Adventszeit zusammengesetzt und symbolisiert mit seinem Licht die Vorfreude auf Weihnachten. Im Haus der Familie Haldenwang in der kleinen Ortschaft Stumpf bei Wermelskirchen-Dabringhausen (Rheinisch-Bergischer Kreis) hängt der Stern das ganze Jahr — seit vor 19 Jahren unter ihm der kleine Michael gepflegt wurde. Im Januar 1999 ist er schließlich an Leukämie gestorben, zehn Tage vor seinem zehnten Geburtstag.
Es war eine schwere Zeit, natürlich. Aber es war auch eine Zeit großer Unterstützung. Weil Michaels älterer Bruder wegen einer Spastik im Rollstuhl sitzt, musste Hilfe organisiert werden. Beate Haldenwang lebte zwischenzeitlich sieben Wochen bei Michael in der Kinderkrebsklinik in Düsseldorf. Ihr Mann Udo musste arbeiten, der Zivildienstleistende zur Betreuung des Ältesten blieb nur bis 16 Uhr. Freunde und Menschen aus der Gemeinde sprangen ein. „Wir hatten immer jemanden, den wir anrufen konnten, Tag und Nacht“, blickt Beate Haldenwang zurück.
Drei Jahre nach Michaels Tod entstand aus dieser Erfahrung der Hilfsbereitschaft das Delfin-Projekt. Die Selbsthilfegruppe für Eltern, die ihre Kinder verloren haben, ist der Elterninitiative Kinderkrebsklinik angegliedert und trifft sich einmal im Monat im Bergischen (siehe Kasten). Dazu hat Udo Haldenwang noch einen Väter-Gesprächskreis an der Düsseldorfer Kinderkrebsklinik eingerichtet. Er versteht sein Engagement als das Erbe seines verstorbenen Sohns: Hilfe weitergeben, die man selbst erfahren hat.
Anfangs wollte die Gruppe in Dabringhausen noch offen sein für trauernde Eltern wie für diejenigen Familien, deren Kinder noch in der Krebsklinik behandelt werden. Aber die Trauer der einen vertrug sich nicht mit dem Hoffen und Bangen der anderen. Dafür hat sich das Delfin-Projekt längst für alle Betroffenen geöffnet: Ob der Tod des Kindes durch Unfall, Suizid oder Krankheit erfolgte, ist unerheblich, in welchem Alter es geschah, auch. Eine Teilnehmerin kam, deren Tochter erst mit 40 Jahren gestorben war. „Aber Kind bleibt halt Kind.“
Britta Kowalewskes Sohn Emil wurde am 28. April 2008 geboren. Bis heute wird der Tag in der Familie besonders gestaltet. Aber es ist ein Geburtstag ohne Geburtstagskind: Emil war eine Totgeburt in der 33. Schwangerschaftswoche. Sechs Tage zuvor hatte er noch im Bauch gestrampelt. Dann war plötzlich Ruhe, vermutlich ein Plazenta-Infarkt. In den verbleibenden Tagen bis zur Geburt „habe ich mich gefühlt wie ein Sarg“, erzählt die 44-Jährige.
Inzwischen gibt es da noch Leo (8). Und für Britta Kowalewske ist klar: „Ich fühle mich als zweifache Mutter.“ Auch Leo spricht von seinem Bruder im Himmel. „Es reicht, dass Emil tot ist. Man muss ihn nicht noch totschweigen“, ist seine Mutter überzeugt. Dass sie nur drei Bilder von dem toten Kind hat und kein einziges von ihm zusammen mit seinen beiden Eltern, hängt ihr bis heute nach.
Natürlich wird auch mit Leo Advent gefeiert. Aber das ungetrübte vorweihnachtliche Familienglück will sich nicht mehr einstellen. „So viele Betroffene sitzen in der Adventszeit in ihren Hütten und denken, hoffentlich geht es bald vorbei“, sagt Kowalewske. Der Schmerz, als Eltern am Grab des eigenen Kindes stehen zu müssen, das doch der Inbegriff der Zukunft war, lässt sich nicht überwinden. „Eine Grundtraurigkeit bleibt“, sagt Beate Haldenwang.
Seit 2006 beteiligt sich das Delfin-Projekt am Weltgedenktag für alle verstorbenen Kinder, der am zweiten Sonntag im Dezember angesetzt ist. Auch diesmal wird es am Sonntag um 17 Uhr wieder einen Gedenkgottesdienst in der evangelischen Kirche in Dabringhausen geben. Eltern aus dem Bergischen und darüber hinaus werden kommen, Geschwister, Verwandte und Freunde. Die Namen der verstorbenen Kinder sollen diesmal auf kleine Segel geschrieben und auch im Gottesdienst noch einmal genannt werden. Später am Abend brennen dann um 19 Uhr in den Fenstern der verschiedenen Zeitzonen rund um die Welt Kerzen für die Verstorbenen, sodass das Leuchten einmal um den Globus wandert.
Es gab schon Besucher, die haben beim Verlassen der Kirche in Dabringhausen gesagt: „Das ist unser Weihnachtsgottesdienst.“