Selbstverteidigung Wenn Senioren lernen, sich zur Wehr zu setzen
Der 90-jährige Edgar Geller leitet Kurse in Selbstverteidigung. Fast alle Teilnehmer sind jenseits der 70.
Düsseldorf. Er sieht deutlich jünger aus, mindestens zwei Jahrzehnte. Tatsächlich ist Edgar Geller 90 Jahre alt, klein, sehr fit und sehr flink. Der Düsseldorfer unterrichtet Senioren in Selbstverteidigung. „Wir werden richtige Kampfmaschinen“, verspricht Geller den staunenden Kursteilnehmern.
Zum Start sind 25 weiß- und grauhaarige Damen und Herren gekommen. Es wird eng in der Sporthalle eines Gymnasiums. „Wir sind alle etwas ältere Leute. Und manche denken, dass wir leichte Beute sind. Aber das wollen wir nicht sein. Nein. Wir können uns wehren.“
Natürlich ist der drahtige Senior kein Haudrauf. „Ich bin ein sehr friedfertiger Mensch.“ Geller stellt klar: „Den Helden wollen wir nicht spielen. Aber man muss sich heute leider verteidigen.“ Der 90-Jährige erwartet Disziplin von seinen Schülern. Fast alle sind jenseits der 70. Der ein oder andere hat es im Kreuz oder am Knie.
Zuerst kommen Dehn- und Streckübungen. Taekwondo-Großmeister Yoo-Young Lee leitet an. Die sportlichen Rentner üben Treten, Zuschlagen, gehen in die Knie, verrenken und verknoten sich erstaunlich gelenkig auf ihren Matten. Armmuskeln, Beinmuskeln alles kommt dran. „Oh, das zieht“, hört man oder: „Es knackt schon — wir sind keine 30 mehr.“ Aber alle halten durch, zäh, in hohem Tempo, es geht schweißtreibend zu. Geller wirkt zufrieden.
Nach 30 Minuten intensivem Aufwärmtraining leitet der betagte Trainer dann „die richtige Quälerei“ ein. Nicht ohne ein paar altersweise Verhaltenstipps vorab: „Wenn jemand Ihr Geld will oder Ihr Handy, dann geben Sie es ihm, wenn Sie damit vermeiden, dass die Situation eskaliert.“ Aber: „Wenn Sie angegriffen oder mit einem Messer bedroht werden, dann warten Sie nicht. In Notlagen gibt es kein Pardon, dann schlagen Sie richtig zu“, rät Geller.
Seit 15 Jahren bietet Geller Kampfsport für Senioren an. „Sie brauchen keine hundert Figuren zu kennen. Es reichen 30, aber die müssen Sie beherrschen wie das Schalten im Auto.“ Muskelberge brauche man aber nicht. Ein Aufatmen geht durch die Turnhalle. „Wir trainieren die Oberschenkelmuskeln, denn wir müssen ja treten.“ Gesagt, getan. Dann wird das Schlagen geübt — in gepolsterte Kissen. „Nicht streicheln“ oder „nicht so ballettartig“, ruft Geller immer wieder munter anweisend. „Sie müssen viel weiter aushohlen und feste zuschlagen.“ Wie das geht, demonstriert er unermüdlich.
Eine 77-jährige Teilnehmerin erzählt: „Ich mache den Kurs aus Sicherheitsgründen. Ich bin schon mal abends spät allein unterwegs, auch mit der Straßenbahn.“