„Wir können Kanzler!“
Das ZDF sucht in einer Show Politiker der Zukunft und lockt mit Angela Merkels Gehalt.
Berlin/ Mainz. Für die Teilnehmer der Casting-Show "Ich kann Kanzler" wird es wohl ein Wunschtraum bleiben, dass Franz Müntefering nach der Sendung auf dem Handy anruft und um die Spitzenkandidatur für die darbende SPD bittet.
Was bleibt, ist aber immerhin die Gewissheit, sich als politisches Talent einem Millionenpublikum vorgestellt zu haben. Dafür bedanken können sich die Novizen beim ZDF, das diese Show aus dem kanadischen Fernsehen übernommen hat.
Der Sender, dessen Zuschauer im Schnitt 58 Jahre alt sind, hat "unverbrauchte Gesichter mit frischen Ideen" gesucht, die eine parlamentarische Karriere anstreben. Beworben haben sich 2500 Menschen zwischen 18 und 35 Jahren.
Aus einem Wust meist wackeliger Bewerbungsvideos hat das ZDF in einer ersten Runde, anschließend eine Jury aus Günther Jauch, Anke Engelke und Bremens Ex-Oberbürgermeister Henning Scherf in einer zweiten Runde die sechs besten Kandidaten herausgefiltert.
Im Finale, das in Berlin stattfindet, müssen die Auserwählten diese Jury erneut von ihrer Schlagfertigkeit, ihren politischen Ideen und ihrem Charisma überzeugen. Dabei ist dem ZDF die Distanzierung von krawalligen Casting-Formaten wie "DSDS" oder "Germany’s Next Top Model" wichtig. Bettina Schausten, Innenpolitik-Chefin beim ZDF, sagt: "Es geht uns nicht darum, die Kandidaten lächerlich zu machen."
Doch schon jetzt ist abzusehen, dass nostalgische 68er in den Feuilletons zu Tiraden gegen die Sendung ansetzen werden: Die Kandidaten seien zu brav, die Jury beweise keinen Mut, und die Show sei insgesamt arg überraschungsarm gestaltet. In der Tat wird kein Rudi-Dutschke-Epigone subversive Parolen ins Mikrofon bellen - das verrät ein Blick auf die ZDF-Website, wo die Kandidaten zu besichtigen sind.
Stattdessen ist da zum Beispiel die 31-jährige Antje Krug, die so vernünftig daherkommt, dass neben ihr selbst Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff wie ein Rebell wirken würde. Antje Krug fühlt sich der CDU nahe, nennt Familienministerin Ursula von der Leyen als Vorbild und will mit "Eltern-Kind-Kompetenzzentren" die Bildungspolitik reformieren.
Angesichts dieser parteipolitischen Geradlinigkeit verwundert das Statement von "Ich kann Kanzler"-Moderator Steffen Seibert ("heute"), der sich vorab ein Bild von den Kandidaten gemacht haben will: "Die Show spiegelt wider, dass Jugendliche entgegen aller Vorurteile politisch engagiert sind. Sie sind eben nur außerhalb von Parteiverbänden aktiv - bei Attac oder in Integrationsprojekten."
Eben solche Kandidaten, die abseits der üblichen Lebensläufe ihr politisches Profil geschärft haben, tauchen bei "Ich kann Kanzler" nicht auf. So sucht man die Robin-Hood-Figur aus dem globalisierungskritischen Lager um "Attac" oder ähnliche Bewegungen vergeblich.
Ebenso keine Spur vom Internet-Revoluzzer, der im Stil der bei den Europawahlen erfolgreichen "Piraten"-Partei gesellschaftliche Umbrüche durch die digitale Vernetzung der Welt anpreist. Das ZDF ist offenbar kein Ort für Romantiker - und verspielt so die Chance, sein Image ein wenig zu entstauben.
Stattdessen herrscht artiger Großparteien-Proporz. Von den sechs Bewerbern rechnen sich jeweils zwei der CDU und SPD und jeweils einer der CSU und den Grünen zu. Das Besetzungskalkül weckt Erinnerungen an bleierne "Anne Will"-Sendungen.
Im Gegensatz zur Talkshow kann das TV-Publikum am Ende aber über seinen Lieblingspolitiker per Telefon abstimmen. Als Prämie erhält der "Super-Kanzler" ein Praktikum im politischen Berlin und das Monatsgehalt eines Kanzlers (etwa 16.000 Euro).