Erste Therapie in Europa EU-Kommission lässt Wirkstoff Lecanemab gegen Alzheimer zu

Brüssel · Heilen lässt sich Alzheimer nach wie vor nicht - bei einem sehr kleinen Teil der Betroffenen aber ein bisschen verzögern. Ein Antikörper kann künftig auch in Deutschland verwendet werden.

Lecanemab richtet sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der Krankheit ein wenig verlangsamen. (Archivbild)

Foto: Lutz Kracht/MPI/dpa

Die Europäische Kommission hat erstmals eine Alzheimer-Therapie zugelassen, die auf zugrundeliegende Krankheitsprozesse abzielt. Der Antikörper Lecanemab sei für eine Behandlung im frühen Stadium und das erste Medikament dieser Art, das in der EU zugelassen werde, teilte die Kommission mit. Fachleuten zufolge kommt nur ein sehr kleiner Teil der Alzheimer-Patienten für diese Therapie infrage.

Das Medikament, das in einigen Monaten verfügbar sein könnte, soll die Krankheit ein wenig verlangsamen. Die Zulassung unterliegt laut EU-Kommission strengen Auflagen. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass der Nutzen des Arzneimittels bei einer bestimmten Gruppe von Patienten und unter bestimmten Voraussetzung die Risiken überwiege.

Die Brüsseler Behörde folgte mit der Zulassung der Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, nicht ursächliche Prozesse im Gehirn.

Das ist bei Lecanemab anders: Der Antikörper richtet sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der Krankheit in einem frühen Stadium verlangsamen. Um Heilung oder Verbesserung geht es allerdings auch bei diesem Wirkstoff nicht - ein solches Mittel ist weiterhin nicht in Sicht.

Minimale Verzögerung

Hauptmaßstab für die Wirksamkeit der Therapie war die Veränderung der kognitiven und funktionellen Symptome nach 18 Monaten, die anhand einer von 0 bis 18 reichenden Demenzbewertungsskala gemessen wurde, wie es von der EMA hieß. Mit Lecanemab behandelte Patienten wiesen im Mittel einen etwas geringeren Anstieg des Wertes auf (1,22 gegenüber 1,75).

Fraglich ist Experten zufolge, wie alltagsrelevant diese leichte Verzögerung ist. „Sobald das Vollbild einer Alzheimer-Erkrankung vorliegt, sind die statistisch beschriebenen Effekte für den Patienten und sein Umfeld zumeist nicht mehr wahrnehmbar“, sagte Walter Schulz-Schaeffer vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg.

Experten zufolge wird es noch einige Monate dauern, bis das Mittel wirklich eingesetzt werden kann - unter anderem, weil der Hersteller verpflichtet wurde, ausführliche Handreichungen und Schulungen für Ärzte auszuarbeiten und ein Beobachtungsregister anzulegen. Das Medikament wird alle zwei Wochen intravenös verabreicht.

Nur im Anfangsstadium einsetzbar

Zugelassen ist Lecanemab nur zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit. Der Grund ist, dass eine Entfernung der Amyloid-Plaques nichts mehr nützt, wenn diese schon irreversible Schäden im Gehirn angerichtet haben.

Hinzu kommt eine weitere Einschränkung: Das Mittel soll nur für diejenigen Alzheimer-Patienten verwendet werden, die eine oder keine Kopie von ApoE4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E, haben. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen - Schwellungen und Blutungen im Gehirn - geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien.

Nur für etwa jeden 60. Alzheimer-Kranken

Von den geschätzt etwa 1,2 Millionen Alzheimer-Erkrankten in Deutschland kommt Experten des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zufolge letztlich nur ein sehr kleiner Teil für die neue Therapie infrage. Als frühe Phase - und damit die mögliche Phase für eine Antikörpertherapie - sind demnach die ersten drei Jahre zu werten. Das sind in Deutschland aktuell schätzungsweise etwa 250.000 Menschen.

80 Prozent davon kommen mit Blick auf ApoE4 infrage. Nicht jeder dieser Patienten erfüllt aber alle Voraussetzungen für die Therapie und ist zudem daran interessiert. Konservativ geschätzt sind es Experten zufolge etwa zehn Prozent. In der Summe dieser Faktoren könnten das etwa 20.000 Patienten sein.

Bei Frauen ist der beobachtete klinische Effekt allerdings noch einmal deutlich geringer als bei Männern - ihr Risiko für Nebenwirkungen hingegen höher. Ob sie überhaupt von einer Behandlung profitieren, ist der Alzheimer Forschung Initiative zufolge noch unklar. Rund zwei Drittel aller Menschen mit Alzheimer sind Frauen.

Mangelnde Kapazitäten, hohe Kosten

Ausreichend Kapazitäten für die nun zugelassene Therapie gibt es bisher wohl nicht. „Ich gehe bei uns in Köln von um die 100 Patienten aus, die wir pro Jahr behandeln können. Und wir sind ein großes Zentrum“, sagte der Neurologe Özgür Onur von der Uniklinik Köln.

Unklar sind auch die Medikamentenkosten für Lecanemab in Europa. In den USA seien es etwa 26.500 US-Dollar (ca. 23.000 Euro) jährlich pro Patient, hatte Johannes Levin vom DZNE Ende letzten Jahres gesagt. Hinzu kommen demnach im Vorfeld einmalige Kosten für die Diagnostik in Höhe von geschätzt 1.400 bis 5.000 Euro. Die Kosten für die Verabreichung des Medikaments lägen groben Schätzungen zufolge bei etwa 6.000 bis 8.000 Euro jährlich, sagte der Experte. Lecanemab wird als intravenöse Infusion alle zwei Wochen verabreicht.

Nebenwirkungen müssen streng überwacht werden

Die in Studien erfassten Schwellungen und Mikroblutungen im Gehirn von Patienten blieben zwar überwiegend ohne Symptome und wurden meist erst durch bildgebende Verfahren bemerkt. Insbesondere bei wiederholtem Auftreten drohen jedoch eine verminderte Gehirnleistung oder Koordinationsschwierigkeiten. Mikroblutungen gelten zudem als Risikofaktor für größere, potenziell lebensbedrohliche Hirnblutungen. Die meisten von Alzheimer Betroffenen sind älter als 80 Jahre, nur in seltenen Fällen beginnt die Krankheit vor dem 65. Lebensjahr.

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(dpa)