Interview mit Klimaforscher Stefan Rahmstorf: „Wir haben nur diese eine Chance“
Der Forscher Stefan Rahmstorf sagt: Die Klimakrise ist schlimmer als die Finanzkrise. Wenn wir die Folgen des Klimawandels richtig spüren, sei es zum Reagieren schon zu spät.
Herr Rahmstorf, wie lange warnen Sie schon vor dem Klimawandel?
Rahmstorf: Ich selbst bin jetzt seit rund 20 Jahren im Geschäft. Aber die Gemeinde der Klimaforscher warnt ja schon viel länger. Der erste Bericht einer großen Forscherorganisation, der vor der Klimaerwärmung gewarnt hat, ist 1979 erschienen - das war die Academy of Sciences der USA.
Seitdem ist nahezu nichts spürbares gegen die Klimakatastrophe unternommen wurden. Muss man schon ein sehr großer Optimist sein, um zu glauben, dass die Menschheit dieses Problem noch in den Griff bekommt?
Rahmstorf: Es steht tatsächlich jetzt auf der Kippe. Wir haben schon sehr viel Zeit verloren. Die Klimakonferenz in Rio 1992 war ein Hoffnungszeichen. Damals haben sich die Staaten verpflichtet, die CO2-Konzentration auf einem Niveau zu stabilisieren, das einen gefährlichen Eingriff in das Weltklima verhindert. Aber auf die Umsetzung warten wir nun seit 17 Jahren vergeblich. Die Emissionen steigen weltweit ungebremst.
Welche Folgen drohen uns hier in Mitteleuropa konkret? Nicht in ferner Zukunft, sondern in den nächsten Jahrzehnten?
Rahmstorf: Was wir ja zum Teil schon bemerken ist die Zunahme von Extremereignissen, zum Beispiel der Hitzesommer 2003. So etwas wird deutlich häufiger auftreten. Auch Extremniederschläge wie die, die zur Elbe- und Oderflut geführt haben, werden vermutlich zunehmen. Das liegt daran, dass die Atmosphäre in einem Warmklima mehr Wasser enthält. Wir werden andererseits in Teilen Deutschlands auch mit verstärkten Dürren zu rechnen haben.
Etwas längerfristiger wird durch den Anstieg des Meeresspiegels die Zahl und die Stärke der Sturmfluten an den Küsten steigen. Und wir müssen mit weiteren Folgen rechnen, die wir heute noch nicht abschätzen können. Ein derart warmes Klima hat es seit drei Millionen Jahren nicht gegeben, seit dem Pliozän. Wir haben also keine vergleichbare Situation, anhand derer wir die Wirkungen zuverlässig abschätzen könnten.
Der Klimawandel und seine Gefahren waren in den vergangenen beiden Jahren sehr präsent in den Medien. Dann kam immer öfter der Vorwurf, die Forscher würden übertreiben. Hat Ihre Zunft sich etwas vorzuwerfen?
Rahmstorf: Mir ist nicht bewusst, dass irgendein anerkannter Forscher ein unseriöses Szenario propagiert hätte. Im Gegenteil: Die neuesten Messdaten legen den Schluss nahe, dass wir mit unseren Modellen noch zu optimistisch waren. Die tatsächliche Entwicklung des Klimasystems überholt gerade unsere Modelle.
Politik und Industrie nennen die Abwrackprämie gern Umweltprämie. Ist der Neuwagenkauf ein Beitrag zum Klimaschutz?
Rahmstorf: Nein. Der Begriff Umweltprämie ist irreführend, denn es handelt sich ausschließlich um eine Unterstützung für die Autoindustrie. Dass dadurch messbar Emissionen eingespart werden, wage ich zu bezweifeln. Ein sinnvolles Konjunkturpaket würde den Strukturwandel einleiten, den wir brauchen, um mit dem Klimaproblem fertig zu werden.
Das hieße konkret?
Rahmstorf: Wir benötigen zum Beispiel Konzepte und Investitionen, mit denen der Verkehr umweltfreundlicher gestaltet werden könnte. Und wir benötigen einen Ausbau der Stromnetze, mit denen sie fit gemacht werden für den massiven Einsatz der erneuerbaren Energien. Es ist ja bekannt, dass bei der Einspeisung von Energie aus Wind und Sonne große Schwankungen auftreten.
Diese könnten in einem ausgebauten europaweiten Netz sehr gut ausgeglichen werden. Es gibt immer Regionen, in denen der Wind weht und die Sonne scheint, während hier Flaute herrscht und Regen fällt. Entsprechende Investitionen bleiben aber aus. Das deutsche Konjunkturpaket schneidet unter Klimaschutz-Gesichtspunkten im Vergleich zu den Hilfspaketen anderer Staaten sehr schlecht ab.
Können Sie Beispiele nennen?
Rahmstorf: Mehr als 35 Prozent der Investitionen im Konjunkturpaket Chinas sind "grün", im Falle Südkoreas sind es sogar 80 Prozent. Das ist der intelligente Versuch, zwei Krisen sozusagen mit einer Klappe zu schlagen - die Klima- und die Wirtschaftskrise.
Fehlt der Bundesregierung das Wissen um die Klimaproblematik oder der Wille?
Rahmstorf: Eingefahrene Strukturen haben immer ein sehr großes Beharrungsvermögen. Vielleicht reicht auch die Vorstellungskraft für das, was notwendig wäre, noch nicht aus. Wir können nicht so weiter wirtschaften wie in den vergangenen Jahrzehnten. Wir benötigen tatsächlich eine dritte industrielle Revolution, um das Klimaproblem in den Griff zu bekommen.
Die Finanzkrise kam nicht ganz unerwartet. Experten haben immer wieder gewarnt, uns drohe ein großer Crash. Reagiert wurde trotzdem nicht. Wird es uns bei der Klimakrise genauso ergehen?
Rahmstorf: Es sieht fast so aus. Wir scheinen sehenden Auges gegen die Wand zu fahren. Der Unterschied zur Finanzkrise ist: Wir haben nur jetzt die eine Chance, es richtig zu machen. Auch wenn wir tausende Milliarden einsetzten:
Die globalen Temperaturen oder den Meeresspiegel senken - das geht einfach nicht. Wenn wir eines Tages denken: ,Hoppla, das ist jetzt aber wirklich schlimm’ - dann ist es schon zu spät. Der Klimawandel lässt sich bremsen und wahrscheinlich auch stoppen, aber nicht zurückdrehen.
Glauben Sie, dass sich die Menschen darüber im Klaren sind?
Rahmstorf: Nicht in vollem Umfang. Ich glaube, dass eine so große Herausforderung immer wieder von kurzfristigen Alltagsproblemen verdrängt wird. Ein tiefgreifender Bewusstseinswandel mit den notwendigen Verhaltensänderungen dauert wohl immer eine Generation.
Beim Klimaproblem ist es leider so, dass uns die Zeit davonläuft. Wir haben nur noch wenige Jahre, um das Steuer herumzureißen.