Stuttgarter Forscher entdecken neue Insektenordnung
Stuttgart (dpa) - Etwas Eintagsfliege, ein bisschen Libelle und ein Hauch von Gottesanbeterin: Stuttgarter Forscher haben eine neue Insektenordnung aus der Kreidezeit entdeckt - und zudem Erkenntnisse über die Entstehung von Insektenflügeln gewonnen: „Chimärenflügler“ oder „Coxoplectoptera“.
So tauften die Wissenschaftler des Naturkundemuseums die neue Insektenordnung. Die rund 120 Millionen Jahre alten Fossilien stammten aus Südamerika, teilte das Museum am Dienstag mit. Die versteinerten Insekten wirken, als seien sie aus verschiedenen Tieren zusammengesetzt. Sie sind ausgestattet mit dem Flügelader-Netzwerk einer Eintagsfliege, der Brust- und Flügelform einer Libelle und Fangbeinen ähnlich einer Gottesanbeterin.
„Es sind ganz merkwürdige Tiere, die sich von allem unterscheiden, was man heute kennt“, sagte Günter Bechly, Paläontologe am Naturkundemuseum. Die Chimärenflügler hätten andere Insekten gejagt und gefressen und seien selbst möglicherweise Beute einiger in der Kreidezeit verbreiteten Flugsaurier gewesen. Die Wissenschaftler um Bechly und den Insektenkundler Arnold Staniczek erkennen in dem Insekt eine fossile Schwestergruppe zur Eintagsfliege - einen „blinden Ast“ der Evolution. „Die Tiere waren zu ihrer Zeit schon lebende Fossilien und sehen aus, als müssten sie 100 Millionen Jahre älter sein“, machte Bechly deutlich. Wann und wodurch sie ausgestorben seien, wüssten sie nicht.
Die an Bachflohkrebse erinnernden Larven der Chimärenflügler waren schon länger bekannt, konnten aber erst nach dem Fund von ausgewachsenen Tieren im Plattenkalk Brasiliens richtig eingeordnet werden. Über die Fangbeine und die Flügel zogen die Wissenschaftler die Verbindung. Die Larven, die sich nach Ansicht der Forscher halb in den Schlamm brackiger Gewässer eingruben und mit ihren Raubbeinen Beute fassten, brachten den Wissenschaftlern auch neue Erkenntnisse über die Entstehung von Insektenflügeln. Ihr Körperbau lieferte ein Indiz dafür, dass sich die Flügel aus den Rückenschildern entwickelt haben.
Die Stuttgarter Erkenntnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift „Insect Systematics & Evolution“ veröffentlicht worden und haben nach Angaben der Forscher „überwältigende erste Reaktionen“ hervorgerufen. Die Wissenschaftler wollen laut Staniczek weiter „dranbleiben“ an den vielen unerforschten Fragen der Fluginsekten-Evolution. Das Stuttgarter Museum mit seiner wertvollen Fossilien-Sammlung, der in sich auch ein ausgewachsener „Chimärenflügler“ fand, biete dafür eine ideale Basis.