Analyse: Island hofft in der Krise auf Rot-Grün

Konservativen droht die Quittung der Wähler für ihre liberale Wirtschaftspolitik.

Reykjavik. Die Arbeitslosigkeit von 1,5 auf fast zehn Prozent explodiert, Hauskredite unbezahlbar, junge Leute wandern massenweise aus: In Island können die 227896 Stimmberechtigten unter den 320 000 Inselbewohnern erstmals nach dem Zusammenbruch ihrer Banken auf dem Wahlzettel Verantwortung zuweisen und Konsequenzen für die Zukunft einläuten.

Als souveräne Siegerin wird bei den vorgezogenen Wahlen die rot-grüne Koalition der Sozialdemokratin Jóhanna Sigurdardóttir (66) erwartet. Sie kam erst im Februar ans Ruder, nachdem Massenproteste auf der Straße den Rücktritt des konservativen Regierungschefs Geir Haarde (58) erzwungen hatten. Dessen seit anderthalb Jahrzehnten unangefochten regierende Unabhängigkeitspartei erwartet dagegen die Wähler-Quittung für den beispiellosen Ruin ihrer Politik.

"Schlimmer als Arbeitslosigkeit und aktuelle Geldsorgen für die Menschen hier ist eigentlich die große Unsicherheit, was kommt. Niemand weiß, wie gewaltig unsere Schulden wirklich sind", sagt der Publizist Oskar Gudmundsson über die Stimmung im Wahlkampf. Dabei gibt auch die Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten und den Linksgrünen alles andere als eindeutige Signale für die Zukunft.

Sigurdardóttir meint vage: "Vor allem müssen wir neues Vertrauen aufbauen." Während die Sozialdemokraten den einzigen Ausweg für die Insel-Wirtschaft mit ihrer total entwerteten Mini-Währung Krone im schnellen Beitritt zur EU sehen, lehnen die Linksgrünen das ab. Den offenen Streit haben die Ministerpräsidentin und ihr linksgrüner Finanzminister Steingrímur Sigfússon (53) auf die Zeit nach den Wahlen verschoben. Zusammen können beide mit einer sicheren Mehrheit von 57,1 Prozent statt bisher 41,1 Prozent rechnen.

Das Umfrageergebnis einen Tag vor der Wahl gilt vor allem als Indiz für eine Abstrafung der Konservativen für ihre Rolle beim steilen Absturz in der Finanzkrise. Haarde und sein Vorgänger Davíd Oddsson (61), der später die Nationalbank leitete, hatten die Privatisierung und Liberalisierung des heimischen Bankgewerbes durchgesetzt. Mindestens das Zehnfache eines kompletten Bruttonationalproduktes haben die drei größten Geldinstitute Kaupthing, Landsbanki und Glitnir den Isländern nun durch ihren Kollaps als Schulden für mehrere Generationen aufgebürdet.