Analyse: Sterbehilfe oder Straftat - Ein sehr schmaler Grat
Der Bundesgerichtshof steht vor einem ethisch und rechtlich schwierigen Urteil.
Karlsruhe. Auch wenn dieVerbindlichkeit der Patientenverfügung mittlerweile gesetzlich geregeltist: Es wird sie weiter geben, die Streitfälle um Leben undSterbenlassen. In einem aktuellen Fall (Info-Kasten) vertagte derBundesgerichtshof sein Urteil auf den 25. Juni.
Das Landgericht Fuldahatte den Anwalt, der der Tochter einer Komapatientin den Rat gegebenhatte, den Ernährungsschlauch durchzuschneiden, verurteilt: Neun Monateauf Bewährung wegen versuchten Totschlags. Die Tochter wurdefreigesprochen, weil sie dem Rat des Anwalts "irrtümlich" gefolgt sei.
In dem Fall gab es keine schriftliche Patientenverfügung, die dieDurchsetzung des Willens der alten Frau, nicht künstlich ernährt zuwerden, gewiss vereinfacht hätte. Doch auch der nur mündlich geäußertePatientenwille muss berücksichtigt werden. Das Problem ist dannallerdings immer wieder die Beweisbarkeit.
Gewiss hätte es auch in diesem Fall für den Anwalt und für die zurDurchtrennung des Schlauches ermutigte Tochter eine andere Lösunggegeben: das bei einem Streit zwischen Angehörigen und behandelndenMedizinern zuständige Betreuungsgericht anzurufen.
Dazu kam es nicht. Doch ist es fraglich, deshalb das Verhalten alsaktive Tötung anzusehen. Denn wenn dies dem Willen des Patientenentspricht, ist das Einstellen der Ernährung als passive Sterbehilfedurchaus erlaubt und geboten. Selbst der Ankläger, Bundesanwalt LotharMaur, plädierte am Mittwoch: Wenn es der Wille eines unheilbar Kranken ist,auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, und wenn sein Betreuerund Arzt diesen Willen umsetzen, dürfe das nicht als strafbares Tötenauf Verlangen bewertet werden. Einen Schlauch durchzuschneiden, seidann zwar aktives Tun. Es sei aber "gerechtfertigt", weil derPatientenwille "Vorrang" habe.
Auch BGH-Richterin Ruth Rissing-van Saan gab zu bedenken, dass dasAbschalten eines Beatmungsgerätes durch einen Arzt ein zulässiges"Unterlassen" einer lebensverlängernden Therapie ist. Wenn dann dasDurchtrennen eines Schlauches unzulässiges "aktives Tun" sein soll, sosei dies "keinem Laien zu erklären".