Wahlen 2017 Angela Merkel und Hannelore Kraft — zwei, die es noch mal wissen wollen

Die Bundeskanzlerin und die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin führen ihre Parteien in wichtige Wahlen. Wie stehen sie da — vor dem Jahr großer politischer Weichenstellungen?

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Düsseldorf. Die eine lenkt seit mehr als elf Jahren Deutschlands Geschicke, die andere regiert seit sechseinhalb Jahren Nordrhein-Westfalen. Angela Merkel (CDU) will es bei der Bundestagswahl (voraussichtlich September 2017) ebenso noch mal wissen wie Hannelore Kraft (SPD), die am 14. Mai ihre Position als NRW-Ministerpräsidentin verteidigt. Wie es um die Chancen steht, dass die beiden Frauen in einem Jahr noch an der Macht sein werden, hängt freilich auch an kaum vorhersagbaren Ereignissen.

An Geschehnissen wie dem Berliner Terroranschlag, der das Zeug hat, politische Verschiebungen zu bewirken. Der ausstrahlt auf die Sicherheits- und Flüchtlingspolitik. Und der die politisch Verantwortlichen in Bund und Land gerade in Wahlkampfzeiten unter besonderen Druck setzt. Schon ohne die jüngste Entwicklung erscheinen die Probleme für Merkel im Bund und für Kraft im Land erdrückend.

Für Angela Merkel steht das Thema Flüchtlinge wie kein anderes im Fokus. Hier hat sie längst Zugeständnisse gemacht von ihrem „Wir schaffen das“ bis zu von ihr mitgetragenen Gesetzesverschärfungen. Vom humanitären Imperativ zum Versprechen des stärkeren Staates.

Doch da sind noch die außenpolitischen Probleme, die jedes für sich schon eine Kanzlerin in Topform verlangen. Angefangen bei der auseinanderfransenden EU über das komplizierte Verhältnis zu Russland und zur Türkei. Als wäre all das nicht genug, kommt noch der Regierungswechsel in den USA hinzu. Von Barack Obama, der Angela Merkel doch gerade erst in Berlin eine politische Liebeserklärung gemacht hat („Wenn ich Deutscher wäre und wählen dürfte, würde ich sie unterstützen“) hin zu Donald Trump.

Einem Mann, der Merkel ähnlich unangenehm sein dürfte wie Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan. Hannelore Kraft wird es nicht verhindern können, dass die Opposition die Probleme des alten Jahres mit in den Wahlkampf transportiert. Angefangen bei dem Thema, das die Landespolitik 2016 wie kein anderes in Atem gehalten hat: Die Silvesterübergriffe von Köln. Da ist der Vorwurf von Versäumnissen des für die Polizei zuständigen Innenministers Ralf Jäger (SPD).

Und der immer wieder von CDU und FDP geschürte Verdacht, dass die Ministerpräsidentin, ihr Innenminister und deren Umfeld frühzeitig die Dimension der Ausschreitungen gekannt und dann durch konspirative Kommunikation verheimlicht hätten. Und: Wie ungezählte Male zuvor wird die Opposition der rot-grünen Regierung unter die Nase reiben, wo NRW im bundesweiten Vergleich schlecht dastehe — von schwachen Wirtschaftsdaten über Kitaplätze bis zu nicht gelingender Inklusion in Schulen.

Angela Merkel steht im eigenen Lager unter Druck. Sie muss nicht nur seit Monaten Störfeuer aus der CSU abwehren. Die Chefs der Schwesterparteien werden nicht mal mehr zum Parteitag der jeweils anderen eingeladen, damit es nicht zum Eklat kommt. Stoisch und langmütig trägt Merkel den Konflikt mit dem bayerischen „Freund“ Horst Seehofer aus.

Doch auch in der eigenen Partei hat sie an Rückhalt verloren. Der Bundesparteitag Anfang Dezember in Essen hat das deutlich gezeigt. Es war wohl ein Fehler von Merkel, dass sie sich schon wenige Tage vorher bereiterklärt hatte, noch mal als Kanzlerkandidatin anzutreten. Gerade weil sie mit ihrer Immer-Noch-Popularität viele Menschen mitnimmt, hätte sie den Parteifreunden eine Art Ultimatum stellen können:

Gebt ihr mir kein famoses Ergebnis bei der Wiederwahl zur Parteivorsitzenden, dann könnt ihr euch einen anderen Kandidaten suchen. Doch weil ihre Kandidatur schon feststand, konnten die Delegierten sie mit einem Ergebnis von 89,5 Prozent ärgern. Und das ausgerechnet nach der für ihre Verhältnisse schon sehr emotionalen Bitte: „Ihr müsst, ihr müsst mir helfen.“

Und dann traten die Parteifreunde sogar noch mal nach. Der gegen Merkels Willen gefasste Beschluss zum Doppelpass — die Entscheidung, die doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wieder abzuschaffen — wirft tiefe Gräben zwischen ihr und Teilen der Partei auf.

Auch wenn Merkel in ihrer Karriere viele auf die Ränge verwiesen hat — von Helmut Kohl bis Wolfgang Schäuble, von Friedrich Merz bis Roland Koch — die Konkurrenten stehen bereit. Eine Julia Klöckner, eine Ursula von der Leyen, ein Thomas de Maizière und wohl auch ein Wolfgang Schäuble würden übernehmen, wenn nach ihnen gerufen wird.

Bei Hannelore Kraft sieht die Sache ganz anders aus. Die NRW-Ministerpräsidentin war selbst von den Socken, als sie beim SPD-Parteitag in Bochum Ende September mit dem Traumergebnis von 98,45 Prozent wieder zur Landesvorsitzenden gewählt wurde und gerührt sagte: „Nach fast zehn Jahren so ein Ergebnis — das haut einen um.“

Kraft hat starke Parteifreunde neben sich am Kabinettstisch, die durchaus das Zeug hätten, das Steuer zu übernehmen. Wirtschaftsminister Garrelt Duin, Finanzminister Norbert Walter-Borjans oder dem im Dauerfeuer der Opposition gestählten Innenminister Ralf Jäger wäre das zuzutrauen. Wenn sie in Landtagsdebatten auf Angriffe der Opposition antworten, schalten die drei rhetorisch geschickt auf Gegenattacke und lassen die Angreifer alt aussehen. Doch auch bei den drei Herren ist in punkto Loyalität mit der populären Regierungschefin kein Riss zu spüren. Jedenfalls nach außen wird ein kollegiales Bild vermittelt.

Angela Merkel als Chefin einer großen Koalition muss, weil die SPD ins Regierungsgeschäft eingebunden ist, nur eher subtile Angriffe aus dieser Richtung parieren. Die kleine Opposition aus Grünen und Linken im Bundestag wird angesichts der erdrückenden Machtverhältnisse untergebuttert. Umso verletzender dürften die Attacken aus dem eigenen Lager wirken, wenn es aus Bayern von der Partei-schwester CSU Angriffe gibt, wie man sie sonst nur von Gegnern erwartet.

Als kürzlich bekannt wurde, dass Merkel sich schon mal mit dem Grünen-Realo Winfried Kretschmann vertraulich zum Abendessen trifft, wurden bereits neue Machtkonstellationen durchkonjugiert: Das schwarz-grüne Modell von Baden-Württemberg könnte doch auch im Bund funktionieren. Doch der Essener Parteitag hat Merkels Spielräume für solche Gedankenspiele wieder eingeengt.

Für Hannelore Kraft und ihre SPD dürfte das Abschneiden der AfD (ebenso wie für Merkel im Bund) die Mehrheitsfindung im nächsten NRW-Landtag stark beeinflussen. Mit dem grünen Koalitionspartner hat die SPD in NRW relativ geräuschlos zusammengearbeitet. Wenn man bedenkt, wie weit ein Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) und ein Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) in ihren Politikansätzen auseinander liegen, ist das schon erstaunlich.

Dennoch gab es in den vergangenen Monaten Absetzbewegungen. Wobei insbesondere die Fußtritte, die die SPD den Grünen versetzt, für Aufsehen sorgen. Da ist Verkehrsminister Michael Groschek (SPD), der mit dem Wort von der „durchgrünten Gesellschaft“ Widerstände von Umweltschützern gegen Planungen geißelt. Oder Innenminister Ralf Jäger (SPD), der den grünen Koalitionspartner nicht über eine von ihm unterstützte Sammelabschiebung nach Afghanistan informiert.

Die Grünen ihrerseits wissen, dass sie in diversen Konstellationen als Koalitionspartner in Frage kommen. Aber auch Schwarz-Rot ist trotz der oft schrillen Attacken von CDU-Chef Armin Laschet auf die Regierung nicht undenkbar. Am Rande von Landtagsdebatten kann man den Oppositionschef schon mal im vertraulichen und durchaus respektvollen Plausch mit der Ministerpräsidentin beobachten.

Mit der Belastung gehen Merkel und Kraft sehr unterschiedlich um. Angela Merkel wahrt nach außen stets das Bild der Souveränität. Sie gibt sich als die Physikerin, die alles vom Ende, vom möglichen Ergebnis her denkt. Sie sucht durch ihr Moderieren, ihre zurückhaltende Hartnäckigkeit Lösungen. Sie plant auch ihre Öffentlichkeitsarbeit strategisch, Auftritte in Pressekonferenzen oder in (Solo-) Talkshows sind wohl dosiert.

Dafür zeigt Merkel sich in regelmäßigen, dann aber selbst gesteuerten und vom Bundespresseamt veröffentlichten Videos bestens vorbereitet auf die vorbesprochenen Interviewfragen. Ganz aus der Nähe zu sehen ist sie da. Und unnahbar zugleich. Die Frau, die Mutti genannt wird und sich doch denkbar emotional sparsam gibt.

Und die andere, die schon lange den Beinamen Kümmerin trägt? Hannelore Kraft erscheint wenig locker, antwortet auf kritische Journalistenfragen zuweilen persönlich angenagt. Sie mag sich vorgeführt vorkommen in Situationen, für die sie am Ende aber auch selbst verantwortlich ist. Fast schon legendär ihr Auftritt bei einer Pressekonferenz im Mai, als sie auf ihre Pläne bis zur Wahl angesprochen wird und dann ergebnislos in ihren Unterlagen blättert. Immerhin: Vor Journalisten nahm sie sich dafür jüngst selbst auf die Schippe. Als sie sagte, dass sie eigentlich noch einen Ausblick aufs nächste Jahr habe geben wollen, aber leider die Unterlagen so schnell nicht finde.

Auch Kraft nutzt das Medium Video. Ganz anders als die auf Perfektionismus setzende Merkel. Mit dem Selfie-Stick filmt sie sich. Will den Medien die Deutungshoheit entreißen. Hält sich und ihre Rastlosigkeit in wackligen Sequenzen fest. Authentisch wirkt das zwar. Aber auch getrieben.