Sondersitzung des Innenausschusses Anschlag: Jetzt muss Jäger reden

Am Donnerstag soll in einer Sondersitzung des Innenausschusses geklärt werden, ob es bei der Beobachtung Anis Amris in NRW Fehler gegeben hat.

Foto: Maja Hitij/dpa

Düsseldorf. Der zweitgrößte Raum des Landtages ist für Donnerstag, 11 Uhr, geblockt; mehr als 20 Plätze wurden für Regierungsvertreter reserviert. Die Sondersitzung des Innenausschusses wird hoch gehängt. Zu rechnen ist mit einem Medienansturm — und einer emotionalen Debatte. Immerhin geht es bei der Sitzung, die CDU, FDP und Piraten nach dem Anschlag von Berlin beantragt hatten, um zwölf Tote und zig Verletzte. Und um die Frage: Hätte in NRW mehr getan werden können oder müssen, um das zu verhindern?

Die Stimmung vor der Sondersitzung wird zusätzlich befeuert durch einen Bericht der „Süddeutschen Zeitung“, wonach sich der Attentäter Anis Amri (24) bereits im November 2015 ausgerechnet einem V-Mann des Landeskriminalamtes NRW als Attentäter anbot. Allerdings widerspricht der Artikel dem Eindruck, Amri sei zuletzt vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwunden: Noch Mitte Dezember habe es in einem amtlichen Papier des NRW-Staatsschutzes geheißen, der 24-Jährige halte sich in verschiedenen Unterkünften und Moscheen in Berlin auf. Kurz bevor er in die Menschenmasse auf dem Breitscheidplatz raste.

Doch wie derlei Fakten und Vermutungen seit dem 19. Dezember durch die Medien in die Öffentlichkeit kleckern, ist insbesondere vielen Oppositionspolitikern nicht genug. „Wir haben bis jetzt nur bruchstückhafte Informationen“, sagt Peter Biesenbach (CDU). „Wir gehen mit vielen offenen Fragen in diese Sitzung.“ Warum konnte Amri reisen? Warum wurde er nicht ständig überwacht? Wie intensiv wurde versucht, ihn außer Landes zu bringen? Schließlich sei NRW ausländerrechtlich für den Tunesier zuständig gewesen — er war hier gemeldet, lebte zeitweise in einem Flüchtlingsheim in Emmerich.

Deshalb will sich auch Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, nicht mit dem Verweis auf Amris eigentlichen Lebensmittelpunkt Berlin zufriedengeben. „Das lasse ich nicht durchgehen.“ Er wolle wissen, wie sich die Sicherheits- und auch Ausländerbehörden abgestimmt hätten. „Und was ist die Konsequenz?“ Nachdenken müsse man unter anderem über ein härteres Vorgehen gegenüber bekannten Gefährdern in der Zukunft.

Der Vorsitzende des Innenausschusses Daniel Sieveke (CDU) hat realistische Erwartungen an die Sondersitzung, die erst einmal nur dazu dienen könne, die „Faktenlage aufzuklären“. Er hofft aber auch, dass im Anschluss ein politischer Prozess angestoßen wird. „Die Lösungsoptimierung muss im Vordergrund stehen“, sagt er.

Aber natürlich spielt auch die Frage nach der politischen Verantwortung für mögliche Fehler eine große Rolle. Nicht nur Sieveke hat seit Ende Dezember das Gefühl, von Innenminister Ralf Jäger (SPD) deutlich weniger zu sehen als üblich. „Er hat eine Neigung, sich vor Verantwortung zu verstecken“, sagt Lürbke von der FDP. Auch deshalb sei die Sondersitzung notwendig. „Wir würden uns wünschen, dass er Verantwortung übernimmt“, erklärt FDP-Fraktionsvize Joachim Stamp. Aber: „Mir geht es nicht um den Skalp von Herrn Jäger.“ Sondern um politische Kultur, für die ein Eingeständnis von Fehlern wichtig sei. „Es bringt nichts, ständig Rücktritte zu fordern“, bekräftigt Peter Biesenbach von der CDU. Dennoch sieht er Jäger heute unter großem Druck. Er werde Antworten geben müssen, die der Öffentlichkeit nicht gefielen.

Unter Druck zu stehen, ist indes keine Neuheit für den SPD-Mann. Kein anderer NRW-Minister stand seit seinem Amtsantritt im Juli 2010 so oft im Rampenlicht, kein zweiter war häufiger im Visier der Opposition. Anlässe gab es zuhauf: Gleich in seinen ersten Diensttagen die Loveparade-Katastrophe mit 21 Toten in Duisburg. Im Herbst 2014 gingen dann verstörende Bilder von malträtierten Flüchtlingen in Landesunterkünften um die Welt. Wenig später kam es am Kölner Dom zu spektakulären Ausschreitungen von Hooligans bei einer Demonstration gegen Salafisten. Und schließlich die massenhaften sexuellen Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht 2015.

Schon häufig sah sich Jäger Rücktrittsforderungen der Opposition ausgesetzt, allerdings konnten ihm bislang nie persönliche, operative Fehler nachgewiesen werden. Anlass, mit einem Rücktritt Verantwortung für mögliches Organisationsversagen nordrhein-westfälischer Sicherheitsbehörden zu übernehmen, sah der 55-Jährige nicht.

Der eloquente Sohn einer Duisburger Kneipenwirtin polarisiert. Jäger hat Biss, formuliert auf den Punkt, bereitet sich gut vor. Selbst in stundenlangen Befragungen auf dem „heißen Stuhl“ zeigt sich der erfahrene Krisenmanager mit abgebrochenem Pädagogikstudium im Landtag hochkonzentriert bis in die borstigen blonden Haarspitzen. Heute soll größtmögliche Offenheit helfen, den Druck abzubauen. Das zumindest kündigt ein Sprecher des Innenministeriums für die Sondersitzung im Landtag an: „Wir wollen so umfassend, wie es uns derzeit möglich ist, aufklären.“