26 Tote bei neuen religiösen Unruhen in Kairo

Kairo (dpa) - Bei Straßenkämpfen zwischen Christen, Soldaten und muslimischen Schlägertrupps sind in Kairo mindestens 26 Menschen getötet worden. Es waren die blutigsten Ausschreitungen seit den Massenprotesten, die im Februar zum Sturz von Präsident Husni Mubarak geführt hatten.

Krankenhausärzte und Polizisten sagten, bei den Toten handele es sich um 22 christliche Zivilisten und 4 Soldaten. 197 Verletzte seien in der Nacht zum Montag in Krankenhäuser gebracht worden. Am Montag protestierten tausende Kopten im Zentrum gegen die Übergriffe auf Christen.

Augenzeugen und Reporter berichteten, die Gewalt habe in der Nacht zum Montag begonnen, als Schlägertrupps Steine auf eine Menge von mehreren tausend christlichen Demonstranten geworfen hätten. Diese hatten sich am Sonntagabend versammelt, um gegen die Diskriminierung ihrer Glaubensgemeinschaft zu protestierten. Als die durch die Steinwürfe aufgebrachten Demonstranten vor dem Gebäude des staatlichen Fernsehens angekommen seien, habe plötzlich jemand aus der Menge heraus einen dort postierten Soldaten erschossen.

Die Soldaten hätten daraufhin die Demonstranten attackiert, zu denen sich in der Zwischenzeit auch einige Muslime gesellt hatten. Die Sicherheitskräfte fuhren mit gepanzerten Fahrzeugen durch die Menge. Das Staatsfernsehen meldete: „Christen greifen die Armee an.“

Die Demonstranten hatten zuvor die Absetzung des Gouverneurs der Provinz Assuan gefordert, der es ihrer Ansicht nach versäumt hatte, sich im Konflikt um den Bau einer Kirche schützend vor die Christen des Dorfes Mari Nab bei Edfu zu stellen. Das Gotteshaus war von radikalen Muslimen attackiert worden. Diese hatten behauptet, das Gebäude sei ohne Erlaubnis der Behörden in eine Kirche umgewandelt worden.

Auch der Konflikt um eine Schule in der Provinz Minia hatte die Spannungen zwischen der muslimischen Mehrheit und den Mitgliedern der koptisch-orthodoxen Kirchen angeheizt. Dort waren christliche Mädchen im September gezwungen worden, mit Kopftuch zum Unterricht zu kommen.

Vor dem Koptischen Krankenhaus in Kairos Innenstadt kam es am Montag erneut zu Protesten wütender Christen, als die Leichen der Getöteten ihren Angehörigen übergeben wurden. Die koptische Kirche erklärte, gewalttätige „Fremde“ hätten sich in der Nacht zuvor unter die friedlichen christlichen Demonstranten gemischt, um Unruhe zu stiften. Die Wut der Demonstranten sei verständlich, da es für Übergriffe auf Kopten in Ägypten keine Bestrafung gebe.

Das Oberhaupt der ägyptischen Kopten, Papst Schenuda III., las am Montag in der Kathedrale von Abbasija eine Totenmesse für die Getöteten. Wie ägyptische Medien berichteten, betonte der Militärrat, der nach dem Sturz Mubaraks die Macht übernommen hatte, er werde trotz aller Störungsversuche am Zeitplan für die Wahlen festhalten. Sie sollen am 28. November beginnen.

Die radikale islamistische Salafisten-Bewegung wies eine mögliche Schuld für den Gewaltausbruch im Zentrum von Kairo von sich. Man verurteile, was geschehen sei, erklärte ein Sprecher der Bewegung. Die Muslimbruderschaft, die bei der Parlamentswahl im November erstmalig mit einer eigenen Partei antreten darf, rief die Kopten auf, „den Feinden der Nation im Inneren und im Ausland keine Gelegenheit zu geben, um eine Spaltung zu provozieren“. In Edfu wurden am Montag acht Muslime und acht Christen gegen Kaution freigelassen, die seit dem Streit um die Kirche in Haft waren.

Die oppositionelle Jugendbewegung 6. April, die im vergangenen Winter die Proteste gegen das alte Regime mitorganisiert hatte, wertete die Eskalation in Kairo als Versuch von Konterrevolutionären, „den friedlichen Charakter der Revolution“ zu zerstören. Sie rief die Regierung auf, die legitimen Forderungen der Christen zu erfüllen - dazu zähle auch, dass für den Bau von Kirchen die gleichen Bedingungen gelten müssten wie für den Bau von Moscheen.

An den Massenprotesten, die zum Sturz von Mubarak geführt hatten, waren auch Angehörige der christlichen Minderheit beteiligt gewesen. Viele koptische Christen, die auch unter Mubarak schon über Diskriminierung geklagt hatten, treibt jedoch die Sorge um, dass ihr Staat unter dem Einfluss der Muslimbruderschaft jetzt „islamisiert“ wird. Knapp zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung sind Christen, die meisten von ihnen gehören der koptischen Kirche an.

Ministerpräsident Essam Scharaf rief seine Landsleute zur Ruhe auf. Was geschehen sei, könne man nicht als Gewalt zwischen Religionsgruppen bezeichnen, es sei vielmehr das Ergebnis einer Verschwörung.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle forderte Toleranz und Besonnenheit von allen Seiten. „Ich bin sehr besorgt über die religiös motivierte Gewalt“, sagte Westerwelle. Gewalt und religiöser Zwist dürften den Prozess der Demokratisierung nicht stoppen.

Das Oberhaupt der koptischen Christen in Deutschland, Bischof Anba Damian, griff den ägyptischen Militärrat scharf an und forderte stärkeren internationalen Druck auf die Übergangsregierung. „Ägypten wird von sich aus nicht besser“, sagte er dem Internet-Portal „Bild.de“. Dem Rat warf er gezielte Jagd auf koptische Christen vor.