Ägypten treibt ins Chaos: Feuergefechte in Kairo und Alexandria
Istanbul/Kairo (dpa) - Der Machtkampf zwischen Ägyptens Islamisten und Opposition wird immer brutaler. Am Dienstagabend kam es in mehreren Städten zu Zusammenstößen und Schusswechseln zwischen Gegnern und Anhänger des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi.
Mindestens zwei Menschen wurden getötet, Dutzende verletzt. Hunderttausende Ägypter demonstrierten landesweit für und gegen die Muslimbruderschaft, in der der Islamist Mursi seine Wurzeln hat.
Am Mittwochnachmittag läuft ein Ultimatum der Militärs für den Präsidenten ab: Wenn es bis dahin keinen Kompromiss mit der Opposition gibt, will die Armee notfalls das Ruder übernehmen und einen eigenen Fahrplan aus der Krise vorlegen. Die Muslimbrüder wollen sich gegen eine Entmachtung Mursis wehren. Angesichts der Lage verschärfte das Auswärtige Amt in Berlin seine Reisehinweise für Ägypten.
Die jüngsten Unruhen begannen am Rande der Hauptstadt Kairo, als Unterstützer des Präsidenten auf dem Weg zu einer Kundgebung mit Gegnern zusammensießen, wie aus Sicherheitskreisen verlautete. In Giza im Großraum Kairo starben demnach zwei Menschen. Auch in der zweitgrößten Stadt Alexandria und in der nordöstlich von Kairo gelegenen Stadt Banha habe es Feuergefechte gegeben. In Kairo seien mindestens 15 Menschen verletzt worden. In Alexandria wurden nach Krankenhausangaben mindestens 33 Menschen verletzt.
Mursi war zuvor mit Armeechef und Verteidigungsminister General Abdel Fattah al-Sisi sowie Regierungschef Hischam Kandil zu einer Krisensitzung zusammengekommen. In einer Erklärung hieß es, es werde „über die aktuellen politischen Entwicklungen beraten“. Über ein Ergebnis wurde zunächst nichts bekannt.
Auf das Armee-Ultimatum hatte der Präsident zuvor sehr verärgert reagiert. Nach Angaben der Zeitung „Al Ahram“ beklagte das Präsidialamt, dass Mursi im Vorfeld nicht konsultiert worden sei. Das Vorgehen der Militärs verdeutlicht die Sonderstellung der Armee, die in Ägypten wie ein Staat im Staate agiert. Die Armee wies derweil die Vorwürfe eines Putsches zurück und betonte, lediglich eine Lösung der Krise forcieren zu wollen.
Die Protestbewegung kritisiert Mursi wegen seines autoritären Führungsstils, einer fortschreitenden Islamisierung im Land und auch wegen einer dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage. Mursis Anhänger sehen die Krise als ideologischen Machtkampf - für oder gegen den Islam.
Ein Bündnis aus einflussreichen islamistischen Politikern und Geistlichen rief die Ägypter in allen Provinzen auf, die legitime Führung im Land zu verteidigen. „Jeder Putsch gegen die legitime Regierung und Verfassung wird das Land ins Chaos und eine ungewisse Zukunft stürzen“, erklärten die Islamisten der Allianz zur Unterstützung der Legitimität.
Die Gegner des Präsidenten drohen mit weiteren Aktionen - allen voran die Protestbewegung „Tamarud“. Die Gruppierung hatte seit Anfang Mai nach eigenen Angaben mehr als 22 Millionen Unterschriften gegen Mursi gesammelt.
US-Präsident Barack Obama forderte den ägyptischen Staatschef in einem Telefongespräch auf, auf die Opposition zugehen. Das Weiße Haus teilte mit, Obama habe unterstrichen, die gegenwärtige Krise sei nur in einem politischen Prozess zu lösen. Demokratie bedeute mehr als Wahlen. „Es geht auch darum, dass die Stimmen aller Ägypter gehört und von der Regierung repräsentiert werden.“
Die Unruhen verschlechtern inzwischen mehr und mehr die Wirtschaftslage, lassen die Zahl der Arbeitslosen und die Kriminalität steigen. Die Währungsreserven schrumpfen. Es gibt Engpässe bei der Versorgung mit Benzin und anderen Waren.
Seit Sonntag ist Mursi als erster freigewählter Präsident des Landes ein Jahr im Amt. Die Muslimbruderschaft war sowohl aus der Parlaments- als auch der Präsidentenwahl als stärkste Kraft hervorgegangen.
Im Machtkampf musste Mursi zudem eine juristische Schlappe hinnehmen. Das höchste Kassationsgericht erklärte die Ernennung von Talaat Abdullah zum Generalstaatsanwalt durch das Staatsoberhaupt für ungültig. Die Richter ordneten die Rückkehr des im November 2012 entlassenen obersten Strafverfolgers Abdel Meguid Mahmud an.
Außerdem laufen Mursi die Minister weg. Nachdem am Montag bereits fünf Minister ihren Rücktritt eingereicht hatten, folgte Außenminister Mohammed Kamel Amr.