Erdogan droht Kurden Aktivisten: Protürkische Kämpfer plündern im syrischen Afrin
Afrin (dpa) - Aktivisten und Kurden werfen protürkischen Rebellen nach deren Einmarsch in die Stadt Afrin im Nordwesten Syriens Plünderungen vor. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete, die Kämpfer hätten in großem Ausmaße Geschäfte, Häuser und Regierungsgebäude ausgeraubt.
Der Sprecher der Kurdenmiliz YPG, Brossik al-Hassaka, sagte, die Eroberer hätten wie früher die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auch Gebäude angezündet und religiöse Statuen zerstört.
Die humanitäre Lage Zehntausender Flüchtlinge in der Region verschärfte sich zugleich. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan drohte mit einer Ausweitung der Offensive nach Ostsyrien und einem Einmarsch in den benachbarten Irak.
Man wolle gegen weitere von der Kurdenmiliz YPG kontrollierte Gebiete vorrücken, sagte Erdogan in Ankara. Zudem werde man die „Terrorcamps“ der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak „wenn nötig anhaltend unter Kontrolle bringen“. Ankara habe der irakischen Zentralregierung gesagt, dass sie „die Sache“ lösen solle, ansonsten werde die Türkei es tun.
Die US-Regierung zeigte sich besorgt über die humanitäre Lage in der Region. Es scheine, als sei die Mehrheit der Bevölkerung der überwiegend kurdischen Stadt nach Androhung eines türkischen Angriffes in Sicherheit gebracht worden, erklärte die Sprecherin des Außenministeriums, Heather Nauert. Dies verschärfe die ohnehin alarmierende humanitäre Situation in der Region zusätzlich. Man sei „zutiefst beunruhigt“.
Die türkischen Streitkräfte und Verbündete hatten die vor allem von Kurden bewohnte Region Afrin und die gleichnamige Stadt im Nordwesten Syriens am Sonntag nach zweimonatigen Kämpfen erobert. Die türkische Regierung stuft die YPG wegen ihrer Verbindungen zur PKK als Terrororganisation ein. Die PKK hat in den nordirakischen Kandil-Bergen ihr Hauptquartier und auch im dortigen Sindschar Stellungen.
Die syrischen Kurden haben im Syrienkrieg in einer große Region im Norden des Landes eine Selbstverwaltung errichtet. Nach dem Verlust von Afrin beherrschen sie noch Gebiete weiter östlich.
Die YPG wird zwar von der Türkei bekämpft, ist aber in Syrien wichtigster Verbündeter der US-geführten Anti-IS-Koalition. Die USA taten nichts gegen den türkischen Vormarsch in Afrin. Auch Russland, das mit der Türkei und dem Iran über eine Lösung für den siebenjährigen Syrienkonflikt verhandelt, griff nicht ein.
Nach Angaben Al-Hassakas sind nun Hunderttausende Menschen in der Region auf der Flucht. Das UN-Nothilfebüro Ocha hatte am Sonntag erklärt, fast 100 000 Menschen aus Afrin seien in benachbarten Gebieten als Vertriebene registriert worden.
„Zehntausende Menschen leiden in Afrin“, twitterte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). „Verzweifelt und verängstigt fliehen täglich Tausende Menschen, die keinen Platz zum Übernachten, wenig Essen, Wasser und medizinische Versorgung haben.“ Das IKRK arbeitet mit dem Syrischen Roten Halbmond zusammen, um Decken und Mahlzeiten zur Verfügung zu stellen.
Die Vertreter der Vereinten Nationen in Syrien forderten umgehende Hilfe für die Menschen. Diese seien müde, hungrig, traumatisiert und verängstigt. Viele von ihnen seien noch immer in Os-Ghuta und Afrin eingeschlossen.
Kurdische Aktivisten verbreiteten Bilder, wie protürkische Rebellen eine Statue in Afrin zerstörten. Videos sollen Trecker zeigen, die aus der Stadt gefahren werden. Zu sehen ist auch, wie ein Auto abgeschleppt wird. Die Echtheit der Aufnahmen ließ sich zunächst nicht überprüfen. Bereits am Sonntag hatten sich viele Kurden empört gezeigt, als eine türkische Flagge in Afrin gehisst wurde.
Mit der Türkei verbündete syrische Rebellen feierten den Einmarsch als Sieg über den „Terror“. Der türkische Regierungssprecher Bekir Bozdag erklärte, die türkischen Kräfte seien in Afrin „keine Besatzer“. „Wir sind nicht dort, um zu bleiben.“ Ziel sei es, die Region „vom Terror zu säubern“ und sie „ihren wahren Besitzern“ zu übergeben. Details dazu nannte er nicht. Einer Analyse des Washington Institute for Near East Policy zufolge besteht die Bevölkerung Afrins fast vollständig aus Kurden.
Die Kurdische Gemeinde in Deutschland warf der Bundesregierung Untätigkeit vor. Sie lasse seit Jahren „all unsere Aufrufe im Hinblick auf ihre Türkei- und Kurdenpolitik unbeantwortet“, kritisierte die Gemeinde in Gießen. „In Afrin ist Europa gefallen.“