Anna Grodzka schreibt Geschichte: Polens transsexuelle Revolution

Im erzkatholischen Land soll eine Frau nach einer Geschlechtsumwandlung Vize-Parlamentspräsidentin werden.

Warschau. Anna Grodzka ist nicht zu übersehen in den Wandelgängen des polnischen Parlaments. Sie ist groß und breit wie ein kräftiger Mann, stolziert aber auf Pumps durch das Gebäude. Die 58-Jährige trägt Bluse, Rock und eine elegante Handtasche. Ihre herben Gesichtszüge machen jedoch stutzig. Frau oder Mann?

„Natürlich Frau“, sagt Grodzka. Nach einer Geschlechtsumwandlung vor vier Jahren „bin ich endlich das, was ich immer war“, erklärt sie. Doch Anna Grodzka ist noch weit mehr. Sie ist die erste transsexuelle Abgeordnete im erzkatholischen Polen. 2011 schrieb sie mit ihrem Wahlerfolg Geschichte. Nun könnte sie sogar zur Vize-Präsidentin des Parlaments aufsteigen. Am Freitag wird abgestimmt. Ein Sieg wäre eine Sensation.

Die Polen nennen den Posten, um den sich Grodzka bewirbt, Vize-Marschall. Es ist eine Bezeichnung, die männlich-konservativ besetzt ist. Grodzkas Parteifreunde von der radikalliberalen Palikot-Bewegung (RP) wollen es anders. Sie sprechen bei einer Frau von der „Pani Marszalkini“, der Frau Marschallin. Es ist eine kleine Provokation. Eine transsexuelle Marschallin wäre eine große Provokation.

Die Abstimmung über Grodzka ist Teil eines Kulturkampfes. Die rechtsgerichtete Tageszeitung „Rzeczpospolita“ spricht sogar von einem „Krieg der Weltanschauungen“. Im Zentrum steht die Frage: Wie viel Toleranz kann und will sich ein Land erlauben, in dem mehr als 90 Prozent der Menschen katholisch sind?

Grodzkas Wahl käme einer transsexuellen Revolution gleich. Die 58-Jährige stellt in den Augen vieler Polen allzu offen zur Schau, was die Mehrheit strikt ablehnt. Grodzka kam als Krzysztof zur Welt, heiratete, zeugte einen Sohn.

Doch in den Wendezeiten der späten 80er Jahre ließ sich Krzysztof ärztlich seine Transsexualität attestieren. 20 Jahre lang arbeitete Krzysztof auf die Geschlechtsumwandlung hin. Am Ende wurde daraus ein politisches Manifest.

Die Aussichten, dass die transsexuelle Revolution am Freitag ihre Vollendung findet, stehen allerdings nicht gut. Faktisch geht es bei der Abstimmung zwar nur um einen Postentausch. Die Palikot-Bewegung stellt bereits eine Vize-Marschallin. Für die Rochade mit Grodzka wird die Palikot-Bewegung aber vermutlich keine Mehrheit bekommen. Der Widerstand gegen eine Transsexuelle im würdevollen Marschallsamt dürfte unüberwindlich sein.