Bewegung und Dialog in Ägypten

Kairo (dpa) - Nach zweiwöchigen Massenprotesten gegen das Regime von Husni Mubarak brechen die verhärteten Fronten auf. Ägyptens Staatschef verlor wichtige Gefolgsleute in der Regierungspartei. Der schwierige Dialog zwischen Opposition und Machthabern kam am Sonntag in Gang.

Die Proteste am Nil gingen auch am 13. Tag weiter. Der Westen pochte weiter auf einen geordneten Übergang. Debattiert wurde über eine Art vorübergehendes Exil für Mubarak in Deutschland.

Nach den Gesprächen zwischen Vizepräsident Omar Suleiman und Vertretern der Opposition berichteten ägyptische Staatsmedien über eine prinzipielle Einigung, dass die jüngsten Versprechen Mubaraks umgesetzt werden sollten: Dazu zählten eine Verfassungsänderung, mehr Pressefreiheit und ein Ende des Ausnahmezustands - sobald dies die Sicherheitslage zulässt. Zudem solle die Jugend eine größere Rolle in der Politik bekommen und Korruption bekämpft werden. Die Muslimbruderschaft, die mit am Verhandlungstisch saß, dämpfte allerdings die Erwartungen auf einen schnellen Durchbruch.

Auf der Suche nach einem würdevollen Abgang Mubaraks wird laut „New York Times“ inzwischen folgende Variante erwogen: Der 82-Jährige kommt für einen verlängerten Gesundheitscheck nach Deutschland. Wie die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf Regierungskreise berichtete, ist man in Berlin bereit, Mubarak für den Fall einer notwendigen medizinischen Behandlung die Einreise zu ermöglichen.

Mubarak hatte sich wiederholt in der Uniklinik Heidelberg behandeln lassen. „Er kann - wie alle anderen Patienten auch - jederzeit kommen“, sagte eine Kliniksprecherin am Sonntag der dpa. Konkrete Vorbereitungen gebe es derzeit aber nicht. „Bislang liegt keine Anfrage der Bundesregierung oder des Auswärtigen Amtes vor.“ Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wollte sich nicht zu den Berichten äußern: „An Spekulationen beteiligen wir uns als Mitglieder der Bundesregierung in so einer sensiblen und wichtigen Frage nicht“, sagte er am Sonntag in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“.

An den Gesprächen mit Vizepräsident Suleiman nahm erstmals auch die Muslimbruderschaft teil, die in der ägyptischen Politik zuvor immer am Katzentisch gesessen hatte. Die Islamisten-Bewegung hatte anfangs noch erklärt, sie stehe erst nach Mubaraks Rücktritt für einen Dialog zur Verfügung. Laut staatlichen Medien saßen auch unabhängige Persönlichkeiten wie der christliche Unternehmer Naguib Sawiris am Verhandlungstisch. Die Muslimbruderschaft erklärte später im TV-Sender Al-Dschasira, man könne bislang nicht von Verhandlungen sprechen. Sie wolle über ihr weiteres Vorgehen am Montag beraten.

Der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei dringt darauf, erst in einem Jahr in Ägypten neu wählen zu lassen. Eine einjährige Übergangszeit mit einer „Übergangsregierung der nationalen Einheit“ sei nötig, um freie und faire Wahlen zu gewährleisten, sagte el Baradei dem US-Fernsehsender CNN. Dem derzeitigen Regime die Aufsicht über Wahlen in den nächsten Monaten zu erlauben, würde zu einer „unechten Demokratie“ führen.

Bei der Münchener Sicherheitskonferenz wollte sich von den führenden Politikern niemand offiziell zu den Spekulationen über eine medizinische Untersuchung Mubaraks in Deutschland äußern. „Meines Erachtens ist das nichts als ein Gerücht“, sagte Konferenzleiter Wolfgang Ischinger. Es lenke nur von den eigentlichen Fragen ab. Die USA und Europa hoffen auf einen geordneten Machtwechsel in Ägypten. Kanzlerin Angela Merkel hatte am Wochenende gesagt, dass allein das ägyptische Volk über seine politische Zukunft entscheiden müsse.

Nach Angaben der Deutschen Botschaft halten sich derzeit noch rund 15 000 deutsche Touristen trotz der Unruhen in Ägypten auf. „Viele blieben und bleiben dort, bis ihr Pauschalurlaub zu Ende geht“, sagte Botschafter Michael Bock der dpa in Kairo. „Ich schätze, dass mittlerweile etwas mehr die Hälfte der 35 000 Touristen ganz normal mit ihren Reisefliegern abgereist sind.“

Das Alltagsleben in Kairo normalisiert sich derweil schrittweise. Der Geschäftsführer der Deutsch-Arabischen Handelskammer in Kairo, Rainer Herret, sagte der dpa, viele Unternehmen hätten die Produktion wieder aufgenommen. Am Sonntag, dem ersten Arbeitstag der islamischen Woche, öffneten erstmals wieder viele Banken. Vor Geldinstituten im Zentrum von Kairo bildeten sich lange Schlangen.

Die Proteste auf dem Tahrir-Platz gingen unterdessen weiter. Am Sonntag versammelten sich dort erneut rund 10 000 Menschen, die einen sofortigen Rücktritt des Präsidenten forderten. Am Abend waren erstmals nach mehrtägiger Ruhe wieder Schüsse auf dem Platz zu hören. Nach Angaben eines Augenzeugen feuerten Soldaten in die Luft, um einige Demonstranten festzunehmen. Es habe sich aber um ein Missverständnis gehandelt. Auch in der ägyptischen Provinz Al-Mansura und in der Hafenstadt Alexandria demonstrierten wieder Tausende.

Der neue ägyptische Innenminister, Mahmud Wagdi, kündigte an, die als korrupt und gewalttätig verschrienen Polizeioffiziere des Landes in eine neue Zeit führen zu wollen. Während eines Treffens mit den Verantwortlichen der Sicherheitsdirektion in Kairo sagte er, die Polizisten sollten sich ab sofort als Dienstleister für die Bürger verstehen.

Am Samstag hatten Attentäter einen Anschlag auf eine wichtige Gaspipeline im Norden der Sinai-Halbinsel verübt und damit die Lieferung in die Region gestoppt. Die Leitung führt von Ägypten nach Israel und hat einen Abzweig nach Jordanien. Die Verbindung nach Jordanien wurde unterbrochen. Ob die Lieferungen nach Israel weiter möglich sind, war zunächst nicht klar. Israel habe die Leitung aus Sicherheitsgründen abgedreht, teilte die israelische Regierung mit. Zwischenzeitlich hatte ein Bericht über ein angebliches Attentat auf Vizepräsidenten Suleiman für Aufsehen gesorgt. Wie der US-Sender Fox News am Samstag berichtete, soll es bereits kurz nach der Ernennung Suleimans zu dem Anschlag gekommen sein. Ägyptische Sicherheitskreise dementierten die Meldung.