Blutige Proteste in der Ukraine
Kiew (dpa) - Bei gewaltsamen Protesten gegen eine Verfassungsreform haben ukrainische Nationalisten in Kiew einen Sprengsatz gezündet und mehr als 100 Menschen verletzt. Ein Angehöriger der Nationalgarde sei von einem Splitter ins Herz getroffen worden und gestorben, sagte Innenminister Awakow.
Hunderte Menschen protestierten vor dem Parlament gegen eine Verfassungsreform. Diese öffnet den prorussischen Separatisten im Kriegsgebiet Donbass das Tor zu mehr Autonomie. Ukrainische Nationalisten lehnen die Pläne ab.
Die Gewalt in der Hauptstadt kommt kurz vor einer geplanten Waffenruhe in der Ostukraine. Von diesem Dienstag an haben die Armee und die prorussischen Separatisten eine Feuerpause vereinbart. Diese soll einen gewaltfreien Beginn des Schuljahres ermöglichen.
Überschattet von Tumulten nahmen die Abgeordneten die Verfassungsreform mit 265 von 368 möglichen Stimmen in erster Lesung an. Mitglieder der rechtspopulistischen Radikalen Partei hatten vorübergehend die Präsidiumstribüne besetzt und die Sitzung gestört. Für die endgültige Verabschiedung der Novelle sind in zweiter Lesung 300 Stimmen im Parlament notwendig. Ein Termin war zunächst nicht bekannt.
Hunderte Menschen zogen nach der Abstimmung vor das Parlament. Die Demonstranten warfen Pflastersteine, Flaschen und Rauchbomben auf die Polizei. Die Sicherheitskräfte setzten Schlagstöcke und Tränengas ein.
Insgesamt seien rund 30 Menschen festgenommen worden, sagte Awakow. Er sieht die Drahtzieher in der in der Westukraine verankerten Partei Swoboda. Unter den Festgenommenen sei auch ein Verdächtiger, der eine Handgranate gezündet haben soll. Polizeichef Alexander Tereschtschuk schloss nicht aus, dass es sich um einen selbst gebauten Sprengsatz gehandelt habe. Awakow sprach von rund 120 Verletzten.
Die Radikale Partei unter anderem lehnt die Reform ab, da eine Passage ein Sondergesetz über die Separatistengebiete Luhansk und Donezk vorschreibt. Ein bereits im September 2014 verabschiedetes Gesetz sieht Sonderrechte wie eine eigene Polizei und eigene Gerichte für einen Zeitraum von drei Jahren vor - allerdings erst nach Regionalwahlen nach ukrainischem Recht. Nationalisten sehen darin eine schleichende Aufgabe ukrainischen Territoriums. Mehr Autonomie für den Donbass ist aber Teil des Minsker Friedensplans vom Februar.
Die Aufständischen im Donbass lehnen die Verfassungsreform selbst ab, weil ihnen die Änderungen nicht weit genug gehen. Sie wollen umgehend größere Selbstbestimmung und lehnen Wahlen nach ukrainischem Recht ab. Die Separatisten in Luhansk bekräftigten, die geplante Waffenruhe auf jeden Fall umsetzen zu wollen. Der russische Außenpolitiker Alexej Puschkow meinte, die Unruhen in Kiew zeigten, dass Präsident Petro Poroschenko die Lage nicht unter Kontrolle habe.
Trotz scharfer Kritik aus Moskau startete im Schwarzen Meer das von den USA angeführte Marinemanöver „Sea Breeze“ (Seebrise). An der knapp zweiwöchigen Übung (bis 12. September) beteiligen sich Soldaten aus der Ukraine und westlichen Nato-Staaten, darunter auch Deutsche. Russland sieht angesichts des Krieges zwischen dem ukrainischen Militär und moskautreuen Separatisten im Donbass in dem Manöver der Nato-Staaten eine neue Provokation.