Blutvergießen in Libyen geht weiter

Tripolis/Brüssel (dpa) - In Libyen tobt ein blutiger Bruderkrieg ohne Aussicht auf ein baldiges Ende. Gegen alle Appelle des Westens setzte der libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi seine Militäroffensive fort.

Die Aufständischen leisteten erbitterten Widerstand.

Rebellenführer Dschalil appelliert an den Westen, schnellstmöglich eine Flugverbotszone über dem umkämpften Land durchzusetzen. Die Nato diskutierte unschlüssig über ein militärisches Eingreifen. EU und UN schickten Krisenteams nach Libyen. Dabei steht die humanitäre Hilfe im Vordergrund.

Mit einem Verzicht auf Strafverfolgung wollen die Aufständischen Gaddafi zur Aufgabe bewegen. „Wenn Gaddafi akzeptiert, das Land zu verlassen, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, würden wir die Forderung aufgeben, dass er vor ein Gericht gestellt werden muss“, sagte der Vorsitzende des Nationalrats der Rebellen, Mustafa Abdul Dschalil, in einem Interview mit „stern.de“. Der Nationalrat aus Vertreter der „befreiten“ Städte gilt als Übergangsregierung der Aufständischen.

Vor allem entlang der Küstenlinie versuchen die Truppen Gaddafis, an die Rebellen verlorene Städte zurückzuerobern. Dabei rücken sie mit Hubschraubern, Kampfflugzeugen und Panzern vor. Die Zahl der Toten und Verletzten stieg am Montag weiter. Ein Brennpunkt des Konflikts ist die nach Tripolis und Bengasi drittgrößte Stadt Misurata im Westen des Landes, wo sich Gaddafis Truppen zuletzt Häuserkämpfe mit den Rebellen lieferten.

Salah Badi, Kommandeur der Aufständischen in Misurata, sagte der Nachrichtenagentur dpa, in der Nacht seien die Truppen Gaddafis mit 42 Militärfahrzeugen und 7 Panzern in die Stadt eingedrungen. Die Soldaten hätten sich heftige Gefechte mit den Aufständischen geliefert und sich dann wieder aus der Stadt zurückgezogen. 24 Soldaten und Söldner sowie 17 Aufständische und ein kleines Mädchen seien getötet worden. Mehr als ein Dutzend Soldaten wurden nach Angaben der Rebellen bei den Kämpfen gefangen genommen.

Heftig umkämpft war am Montag die Ortschaft Bin Dschawad an der östlichen Mittelmeerküste. Den dort stationierten Gaddafi-Truppen gelang es, einen Angriff der Aufständischen zurückzuschlagen. Diese mussten sich in den weiter östlich gelegenen Ölhafen Ras Lanuf zurückziehen, berichteten Fotografen der Fotoagentur epa. Die Aufständischen verstärkten ihre Verteidigungsstellungen bei der Raffinerie von Ras Lanuf.

International wurden Rufe nach einer Militärintervention lauter. Die Verteidigungsminister der 28 Nato-Staaten beraten an diesem Donnerstag vor allem über ein mögliches Flugverbot. Ungewiss ist aber, ob es auch irgendwelche Entscheidungen gibt. US-Präsident Barack Obama verurteilte die Gewalt gegen Zivilisten erneut als „inakzeptabel“. Der britische Außenminister William Hague warnte Gaddafi vor einem „Tag der Abrechnung“.

In der US-Regierung mehren sich die skeptischen Stimmen. Nach Verteidigungsminister Robert Gates äußerte sich auch der neue Stabschef im Weißen Haus, Bill Daley, zurückhaltend. „Eine Menge Leute reden über eine Flugverbotszone, als wäre es (...) ein Videospiel oder so etwas“, sagte er dem US-Sender NBC. „Wer darüber auf diese Weise redet, hat keine Ahnung, wovon er spricht.“

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen warnte Gaddafi am Montag vor einem internationalen Eingreifen. „Wenn Gaddafi und seine Militärs weiterhin die libysche Bevölkerung systematisch angreifen, kann ich mir nicht vorstellen, das die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen tatenlos dabei zuschauen“, sagte Rasmussen am Montag in Brüssel. Derzeit sei ein Militäreinsatz aber nicht geplant, weil es kein UN-Mandat gebe.

Einig ist man bei Nato und EU über die Notwendigkeit humanitärer Hilfe für die Opfer des Bürgerkriegs. Die EU-Erkundungsmission unter Leitung des italienischen Krisenexperten Agostino Miozzo dient der Vorbereitung des Libyen-Sondergipfels an diesem Freitag in Brüssel. In der libyschen Hauptstadt Tripolis sei von den Unruhen im Land relativ wenig zu spüren, sagte Miozzo, am Montag der dpa am Telefon. „Zumindest von dem Teil der Hauptstadt, den ich gesehen habe, kann man nicht von einer Krise im Land sprechen.“

Nach Angaben der EU-Kommission sind von insgesamt 200 000 Menschen, die aus Libyen über die Grenzen nach Tunesien und Ägypten geflohen sind, bisher etwa 60 000 in Sicherheit gebracht worden. Von 8000 evakuierungswilligen EU-Bürgern seien bis auf 80 alle außer Landes gebracht worden.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ernannte den früheren jordanischen Außenminister Abdul Ilah Chatib zum Sondergesandten. Bundesaußenminister Guido Westerwelle begrüßte den Schritt. Der Gesandte gebe dem humanitären und politischen Einsatz der Staatengemeinschaft für Libyen Gesicht und Stimme. Der libysche Außenminister Mussa Kussa habe in einem Telefonat mit Ban der sofortigen Entsendung eines UN-Teams nach Tripolis zugestimmt, teilte ein UN-Sprecher in New York mit.

Die Vereinten Nationen baten angesichts der Not der Zivilisten in Libyen um Spenden in Höhe von 160 Millionen Dollar (114 Millionen Euro). Damit soll die humanitäre Hilfe für die kommenden drei Monate gesichert werden. Mit dem Geld sollen Flüchtlinge und die Menschen im Land selbst unterstützt werden - unter anderem mit Lebensmitteln und medizinischer Hilfe.

Indessen soll Gaddafi Kontakt zum Nationalrat der Aufständischen in Bengasi aufgenommen haben, angeblich um vorzuschlagen, dass er mit seiner Familie ins Exil geht. Dabei soll er als Bedingung genannt haben, dass er mitsamt seinem Vermögen ausreisen kann, wie die arabische Zeitung „Al-Sharq Al-Awsat“ berichtete. Rebellenführer Dschalil bestätigte, dass das Regime versucht habe, Kontakt aufzunehmen. Es gebe aber keine Verhandlungen.

Tunesien, wo die Volksaufstände in der arabischen Welt begonnen hatten, hat unterdessen seine dritte Übergangsregierung seit dem Sturz des Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali - die erste ohne dessen Gefolgsleute. Premierminister Béji Caïd Essebsi gab am Montag in Tunis die Zusammensetzung der neuen Regierung bekannt. Das Innenministerium kündigte zudem an, die Behörde für Staatssicherheit werde aufgelöst.

Auch in Ägypten, wo die Massen Präsident Husni Mubarak am 11. Februar nach tagelangen Protesten verjagt hatten, waren Gebäude der verhassten Staatssicherheit am Wochenende das Ziel neuer Proteste. In Kairo wurden am Montag sieben neue Mitglieder der Übergangsregierung vereidigt - unter ihnen der neue Außenminister Nabil al-Araby, der früher am Internationalen Gerichtshof in Den Haag wirkte. Die vom herrschenden Militärrat eingesetzte Übergangsregierung soll bis zu Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in voraussichtlich sechs Monaten amtieren.