Jacques Chirac vor Gericht — ein Prozess, den niemand will

Dem französischen Ex-Präsidenten wird Untreue vorgeworfen. Doch nicht einmal der Staatsanwalt wollte die Verhandlung.

Paris. Um den Prozess vor der elften Pariser Strafkammer historisch korrekt einzuordnen, herrscht an Superlativen kein Mangel. Denn dass dort mit Jacques Chirac ein ehemaliger Staatspräsident auf der Anklagebank Platz nehmen muss, ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der fünften Republik.

Dem 78-Jährigen werden „Unterschlagung und Veruntreuung öffentlicher Gelder“ vorgeworfen. Straftaten, die er allerdings nicht in seiner zwölfjährigen Amtszeit als Präsident, sondern als Bürgermeister der Stadt Paris begangen haben soll.

Zwischen 1992 und 1995, so die Anklageschrift, habe Jacques Chirac, der in jener Zeit auch Vorsitzender der gaullistischen Partei war, dafür gesorgt, dass Freunde und Weggefährte mit fiktiven Jobs im Pariser Rathaus versorgt wurden. Nachdem ursprünglich von mehreren Hundert Scheinangestellten die Rede war, konzentriert sich der Prozess nun auf 28 Scheinjobs.

Es ist eine illustre Gesellschaft mit zum Teil prominenten Namen. Einer von ihnen ist Jean de Gaulle, ein Enkel des Republik-Gründers General de Gaulle. Stimmen die Vorwürfe, dann haben diese Scheinangestellten nicht für das Wohl der Pariser geschuftet, sondern lediglich für das der Partei und das Chiracs.

Obschon die pikante Affäre bereits 1998 ans Tageslicht kam, entzog sich Jacques Chirac geschickt der Justiz. Als Präsident der Republik genoss er bis zu seinem Abschied aus dem Elysée-Palast im Jahre 2007 Immunität.

Sonderbar auch: Es ist ein Prozess, den maßgebliche Kreise des politischen und juristischen Establishments gar nicht wollen. Allen voran der Pariser Staatsanwalt Jean-Claude Marin, der aus Mangel an Beweisen die Einstellung des Verfahrens verlangte, sich aber nicht gegen die Untersuchungsrichter durchsetzen konnte.

Am Dienstag wollen die Richter zudem über eine Verfassungsklage entscheiden, weil mehrere Fälle zu einem gebündelt wurden. Diese könnte den Prozess auf unbestimmte Zeit verschieben. Chirac selbst soll frühestens am Mittwoch vor Gericht erscheinen.

Sogar die Stadt Paris als Geschädigte dringt nicht auf eine juristische Aufarbeitung. Bereits im vergangenen Dezember fädelte die rot-grüne Stadtregierung einen Vergleich mit Jacques Chirac und der gaullistischen Partei UMP (früher RPR) ein. Danach zahlte die UMP offenbar eine Entschädigung von 1,65 Millionen Euro, während Jacques Chirac etwa 550 000 Euro beisteuerte. Die Konsequenz: Die Stadt tritt in dem Verfahren nicht als Nebenklägerin auf.

Von 1977 bis 1995 war Jacques Chirac Regent im Pariser Rathaus. Eine Epoche, die immer wieder von Skandalen überschattet wurde: So wurde ein illegales Parteispenden-System aufgezogen. Firmen, die den Zuschlag für Schulrenovierungen erhielten, mussten als Dankeschön zwei bis drei Prozent der Auftragssumme „abführen“. Während Chirac-Vertraute verurteilt wurden, kam der Patriarch, zu diesem Zeitpunkt schon Hausherr im Elysée-Palast, ungeschoren davon.