Brasilien brennt: Aufstand der Wütenden
Eine Million Brasilianer gehen gegen Misswirtschaft und Korruption auf die Straße.
Rio de Janeiro. Das Land des Fußballs, der weißen Strände und des bunten Karnevals ist zum Protestland geworden. 356 Tage vor Anpfiff der Weltmeisterschaft in Brasilien ziehen landesweit eine Million Menschen durch die Straßen, um gegen Korruption, Misswirtschaft und soziale Missstände zu protestieren.
Der friedliche Protest endet in vielen Städten im völligen Chaos. Straßenschlachten, Tränengas, brennende Barrikaden, in Flammen stehende Autos, ein Toter und Hunderte Verletzte — das ist die vorläufige Bilanz der Protestnacht in Brasilien.
In Rio gingen 300 000 Menschen auf die Straße. Treffpunkt war wie in den vergangenen Tagen die Kirche Igreja Candelária im Zentrum. Der schier endlose Protestzug setzte sich friedlich über die Avenida Presidente Vargas in Richtung Bürgermeisteramt in Bewegung.
Doch plötzlich explodierten Tränengasgranaten, die Demonstranten liefen in Panik auseinander. Sondereinheiten und Panzerfahrzeugen rückten vor. Über 60 Verletzte sind das Resultat der Konfrontation. Aus allen Landesteilen werden Massenproteste gemeldet.
Auch das Regierungsviertel in Brasília wurde zum Schlachtfeld. „Brasília in Flammen“ — titelte die Zeitung „O Dia“. Dort wollten die Demonstranten zunächst den Kongress stürmen. Immer wieder gelang es ihnen, die Polizei auszutricksen und mit taktisch koordinierten Aktionen die Sicherheitskräfte zu umgehen.
Unweit des Präsidenten sitzes griffen Randalierer das Außenministerium an und entzündeten ein Feuer. Trotz massiver Polizeipräsenz gelang es den Demonstranten, zu dem Gebäude vorzudringen.
Die Proteste haben in Brasilien ungeahnte Dimensionen angenommen und sind zum nationalen Phänomen geworden, das aus Sicht des Globo-Journalisten Merval Pereira auch von der Mittelschicht des Landes getragen wird. Die Menschen bekämen die Auswirkungen der Inflation und der schlechten öffentlichen Service-Leistungen zu spüren und sähen in den Demonstrationen einen Weg, ihrem Frust und ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
„Sie wissen, warum das Leben nicht besser ist: weil die öffentlichen Gelder verschwendet und gestohlen werden.“ Der Fußball ist zur Nebensache geworden. Das zeigte auch eine ungewöhnliche Entscheidung des TV-Senders Globo: Er verzichtete am Donnerstag auf die Live-Übertragung der Confed-Partie zwischen Spanien und Tahiti und berichtete stattdessen über die Proteste.