China frustriert über Nordkorea: „Verzogenes Kind“
Peking/Washington (dpa) - Mit ständigen Provokationen verärgert Nordkorea offensichtlich auch seinen letzten Freund China. Die von WikiLeaks veröffentlichten Depeschen amerikanischer Diplomaten enthüllen die Ungeduld Chinas, das den Verbündeten einmal sogar als „verzogenes Kind“ einstufte.
Die Dokumente demonstrieren außerdem das Unwissen der USA über die wirklichen Vorgänge in dem isolierten Staat. Trotz der zurückhaltenden Reaktionen Südkoreas, der USA und Japans warb China am Dienstag unverändert für seine Vermittlungsversuche. Die jüngste Krise war durch Nordkoreas Militärschlag gegen eine südkoreanische Insel ausgelöst worden.
Der chinesische Vorschlag für Treffen der Unterhändler im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche mit Nordkorea, den USA, China, Südkorea, Japan und Russland sei als „Ausgangspunkt“ für eine Verringerung der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel gedacht, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Hong Lei, vor Journalisten in Peking. China hoffe auf eine positive Antwort der anderen Parteien. Erste Gespräche wird Chinas Regierung mit dem Vorsitzenden der obersten Volksversammlung Nordkoreas, Choe Tae Bok, führen. Der enge Vertraute von Militärführer Kim Jong Il und dessen Sohn Kim Jong Un traf am Dienstag zu einem Besuch in China ein.
Die Dokumente amerikanischer Diplomaten über Chinas Haltung zu Nordkorea könnten die diplomatischen Bemühungen erschweren. In einer Depesche nach Nordkoreas Raketentest im April 2009 wird Chinas Vizeaußenminister He Yafei zitiert, Nordkorea wolle direkte Gespräche mit den USA und benehme sich „wie ein „verzogenes Kind“, um die Aufmerksamkeit des „Erwachsenen zu bekommen“. Andere Dokumente mit Hinweis auf bedeutende südkoreanische Quellen erwecken den Eindruck, China wolle seinen Verbündeten aufgeben und wäre bereit, ein wiedervereinigtes Korea unter Südkoreas Kontrolle zu akzeptieren.
Nordkorea habe als „Pufferstaat“ nur noch wenig Wert für China, zitierte im Januar dieses Jahres der damalige südkoreanische Vizeaußenminister und heutige Sicherheitsberater Chun Yung Woo chinesische Offizielle. Im Falle einer Wiedervereinigung würde China allerdings amerikanische Truppen auf heutigem nordkoreanischem Gebiet „nicht willkommen“ heißen, sagte Chun. Große Geschäftsmöglichkeiten für chinesische Unternehmen könnten helfen, die Sorgen Chinas über ein wiedervereinigtes Korea zu mindern.
Eine Militär-Intervention Chinas im Falle eines Zusammenbruchs Nordkoreas hielt Chun für unwahrscheinlich, da Chinas strategische Wirtschaftsinteressen heute auf die USA, Japan und Südkorea ausgerichtet seien. Aus seiner Sicht sei Nordkorea wirtschaftlich schon kollabiert. Er sagte voraus, dass das verarmte Land „zwei, drei Jahre“ nach dem Tod von Militärführer Kim Jong Il auch politisch zusammenbrechen werde. China habe weit weniger Einfluss „als die meisten Leute glauben“, wurde Chun zitiert. China sei aber auch „nicht willens“, seinen wirtschaftlichen Einfluss zu nutzen, um Veränderungen in Nordkorea zu erzwingen. Nordkoreas Führung „weiß das“, wurde Chun zitiert.
In einer anderen Depesche vom November 2007 äußerte sich die damalige Außenministerin Condoleezza Rice besorgt, dass China trotz wiederholter Aufforderung der USA nichts gegen Luftfrachtlieferungen aus Nordkorea in den Iran über den Pekinger Flughafen unternimmt, die dem iranischen Raketenprogramm dienten. Die Dokumente enthüllen nach einem Bericht der „New York Times“ aber auch, wie wenig die USA wohl über Vorgänge innerhalb Nordkoreas wissen. Die Botschaftsmeldungen über Nordkorea - manche aus Südkorea, manche aus Peking - „sind voller fundierter Vermutungen, aber arm an Fakten“. Dies mache anschaulich, weshalb man Nordkorea „das Schwarze Loch Asiens nennt“.
Die großen Krisen seien offensichtlich nicht vorhergesehen worden. Stattdessen enthielten die Depeschen „lockere Gespräche und zuversichtliche Voraussagen über das Ende der Familiendynastie, die Nordkorea seit 65 Jahren regiert“, schreibt die Zeitung weiter. Diese Debatten seien befeuert worden von einer ganzen Reihe Überläufer aus dem diplomatischen Dienst Nordkoreas, deren Existenz bislang unbekannt gewesen sei, berichtet die „New York Times“.