Das Machtsystem von Mubarak zerfällt

Kairo/München (dpa) - Die fast zweiwöchigen Massenproteste gegen Ägyptens Präsident Husni Mubarak zeigen Wirkung. Der Herrscher vom Nil verlor seine wichtigsten Getreuen in der Regierungspartei NDP, deren Führung am Samstag zurücktrat.

Verwirrung löste der Nachrichtensender Al-Arabija mit einer später korrigierten Falschmeldung aus, dass Mubarak selbst den Parteivorsitz niedergelegt habe.

Zu der zurückgetretenen Führungsgarde der Nationaldemokratischen Partei (NDP) zählen sein Sohn Gamal Mubarak und Generalsekretär Safwat Al-Scherif. Die Partei präsentierte sofort eine neue Riege von Führungspersönlichkeiten, die größtenteils dem Reformflügel der NDP angehören. Dies deutet darauf hin, dass erstere nicht freiwillig das Handtuch warfen.

Der seit fast drei Jahrzehnten regierende Mubarak, der nicht abtreten will, gab am Samstag erneut demonstrativ den Staatschef. Mit Mitgliedern der neuen Regierung tagte er im Präsidentenpalast. Die Demonstranten in Kairo forderten weiter seinen sofortigen Rücktritt. Hinter den Kulissen werden Szenarien für ein Ende der Ära Mubarak entworfen. Dabei spielt angeblich auch Deutschland eine Rolle.

Die „New York Times“ berichtete über Szenarien für einen Abgang Mubaraks: Es gebe Überlegungen, ihn zu einer medizinischen Untersuchung nach Deutschland auszufliegen. Dies sei Teil von Planungen der Führung um Vizepräsident Omar Suleiman. Eine Bestätigung für solche Planspiele gab es zunächst nicht. Nach einer anderen unbestätigten Variante soll sich der Präsident in sein Ferienhaus im Badeort Scharm el Scheich zurückziehen. Ziel sei, dass Mubarak den Präsidentenpalast verlasse, aber nicht seines Amtes enthoben werden müsse.

Tausende Mubarak-Gegner verbrachten auch den Samstag auf dem Tahrir-Platz im Herzen der Hauptstadt. Am zwölften Tag der Proteste blieb die Lage bis zum Abend ruhig. General Hassan al-Rawini, Chef des Zentralkommandos der Armee für Kairo, ging am Nachmittag auf den Platz und forderte die Demonstranten auf, nach Hause zu gehen, wie arabische Fernsehsender berichteten. Sie hörten aber nicht auf ihn. Am Mittwoch und in der Nacht zum Donnerstag waren auf dem Platz 13 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden, als Mubarak-Anhänger mit Stöcken, Messern und Schusswaffen angriffen.

Der ägyptische Milliardär Naguib Sawiris, Mitglied im „Rat der Weisen“, sagte in einem Interview mit dem ZDF, Mubarak solle nach den Vorstellungen des Rats sein Mandat bis September erfüllen. Gleichzeitig könne Vizepräsident Omar Suleiman bis dahin Wahlen und eine neue Verfassung vorbereiten und damit Forderungen der jungen Demonstranten vom Tahrir-Platz umsetzen. Der „Rat der Weisen“ ist ein Gremium aus unabhängigen Persönlichkeiten, das nach Auswegen aus der Krise und Lösungen für einen Neuanfang sucht.

Prominentester Vertreter der neuen Führungsriege in der Regierungspartei NDP ist Hossam Badrawi, der die Posten von al-Scherif und Gamal Mubarak übernahm. Diese Entscheidung könnte ein Versuch sein, die Partei, deren Ruf durch Wahlmanipulationen, Vetternwirtschaft und zuletzt durch die gewalttätigen Angriffe ihrer Anhänger auf friedliche Demonstranten gelitten hatte, vor dem völligen Untergang zu retten.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz fanden derweil Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Außenministerin Hillary Clinton klare Worte. Rasche Wahlen in Ägypten seien nicht alles, es brauche einen geordneten Übergang. Clinton sieht den Nahen Osten vor einer Phase extremer Umbrüche. Merkel lehnte eine Einmischung in die Mubarak-Nachfolgedebatte ab. Sie machte ebenso wie der britische Premier David Cameron klar, dass allein das ägyptische Volk über seine politische Zukunft entscheiden müsse. US-Präsident Barack Obama hatte am Freitag Mubarak aufgefordert, sich nicht dem Willen der Bevölkerung zu verweigern.

Derweil flammte außerhalb Kairos die Gewalt wieder auf: Attentäter verübten einen Anschlag auf eine wichtige Gaspipeline im Norden der Sinai-Halbinsel und stoppten damit die Lieferung in die Region. Die Leitung führt von Ägypten nach Israel und hat einen Abzweig nach Jordanien. Die Verbindung nach Jordanien wurde unterbrochen. Ob die Lieferungen nach Israel weiter möglich sind, war zunächst nicht klar. Israel habe die Leitung aus Sicherheitsgründen abgedreht, teilte die israelische Regierung mit.

Das ARD-Magazin „Fakt“ berichtete unter Berufung auf vertrauliche Berichte des Auswärtigen Amtes, in Ägypten seien sieben Deutsche, darunter auch Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), kurzfristig festgenommen worden. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte auf Anfrage, zu Berichten über angeblich interne Papiere nehme man grundsätzlich keine Stellung. Sie betonte aber: „Nach unseren Erkenntnissen sind derzeit keine deutschen Staatsangehörige im Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen in Haft.“