Analyse: Katholiken gönnen ihrer Kirche keine Ruhe

Das Jahr des Papst-Besuches in Deutschland sollte eigentlich harmonisch werden, doch an der Basis rumort es.

Tübingen. Die katholische Kirche kommt nicht zur Ruhe. Oder besser gesagt: Katholiken lassen ihre Kirche nicht zur Ruhe kommen. Seit vor einem Jahr der Missbrauchsskandal um katholische Geistliche öffentlich geworden ist, rumort es an der Basis, und der Ruf nach Reformen wird immer lauter.

Jetzt gibt es einen Protest, der schlagkräftiger sein könnte als alle anderen: 144 katholische Theologieprofessoren fordern in einer Erklärung weitreichende Veränderungen, unter anderem das Ende der erzwungenen Ehelosigkeit für Priester und die Stärkung der Laien. Die Hoffnung vieler Bischöfe, dass 2011 wieder Ruhe in der Kirche einkehren könnte, ist damit endgültig dahin. 2011 sollte das Jahr der positiven Schlagzeilen werden — gekrönt vom glamourösen Besuch des Papstes, der in acht Monaten durch Deutschland reist.

Für Debatten über tiefgreifende Reformen wie die Abschaffung des Zölibats werde es in den „kommenden Jahren“ Gelegenheit geben, hatten die Bischöfe vor zwei Wochen beschieden. Aber so lange will die Basis nicht warten. Der Priestermangel wird in immer mehr Gemeinden deutlich spürbar: Pfarreien werden zusammengelegt, Seelsorger fehlen, zur Messe müssen Katholiken gerade auf dem Land weite Strecken zurücklegen.

Dass die Kirchenführung trotzdem bei Priestern auf dem Zwang zur Ehelosigkeit beharrt und damit junge Männer abschreckt, oder dass sie Frauen generell vom Priesteramt ausschließt, wollen viele an der Basis deshalb nicht mehr hinnehmen. „Die Kirche muss diese Zeichen verstehen und selbst aus verknöcherten Strukturen ausziehen, um neue Lebenskraft und Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen“, schreiben die 144 Professoren in ihrem Memorandum.

Auch wenn sich viele Bischöfe nach dem Missbrauchsskandal noch so sehr nach Ruhe sehnen, dürfe sich die Kirche im Moment einfach keine Ruhe gönnen. „In der gegenwärtigen Lage könnte das nur Grabesruhe sein.“

Es ist ein unüberhörbares Zeichen, dass trotz zu erwartender Konflikte mit den kirchlichen Würdenträgern jeder dritte katholische Theologie-Professor im deutschsprachigen Raum den Aufruf unterzeichnet hat.